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Seraphim

Seraphim

Titel: Seraphim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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sie die Hand vor die Nase, aber sie tat so, als kratze sie sich, denn sie wollte den Mann auf keinen Fall verärgern. »Lisbeth, die alte Hexe«, murmelte er zu sich selbst. »Sie ist eine vertrocknete hässliche Vettel. Kein Wunder, dass bei ihr keiner mehr einen hochkriegt.« Er lächelte Katharina an. Trotz seiner Größe und der ungeschlachten Gestalt, mit der er auf sie zuwankte, hatte er ein schönes Lächeln.
    Katharina schluckte.
    »Kennt Ihr Arnulf, den Nachtraben?« Ihre Stimme war jetzt ein wenig schrill. Nachdem ihr Versuch, Bertram um Hilfe zu bitten, fehlgeschlagen war, hatte sie sich in der Dunkelheit zu Richards Haus geschlichen, doch er war noch immer nicht da gewesen. Da hatte Katharina die Idee gehabt, es bei seinem Freund mit den grünen Augen zu versuchen. Vielleicht fand sie ihn bei ihm.
    Willibald hielt inne, schien zu überlegen, dann schüttelte er den Kopf. »Nö.«
    »Du Dummkopf!« Eine schmächtige Hure mit wirren Locken trat aus der Dunkelheit. »Sieht man doch, dass das eine Hochherrschaftliche ist!« Sie gab Willibald einen kräftigen Schubs, und plötzlich wirkte der Mann gar nicht mehr wild und zornig. Er taumelte zur Seite.
    »Was willste hier, Süße?«, fragte die Hure Katharina. »Ist kein Viertel für solche wie dich!«
    Katharina verspürte einen völlig unpassenden Anflug von Dankbarkeit darüber, dass man nach allem, was geschehen war, in ihr immer noch die reiche Nürnberger Bürgerin sah, die sie vor Egberts Tod gewesen war. Sie zupfte an ihrem Schleier. »Kennt Ihr Arnulf, den Nachtraben?«
    Die Rothaarige stemmte die Hände in die Hüften, warf den Kopf in den Nacken und lachte laut. »Was willste denn von dem großen Arnulf?« Sie maß mit den Händen eine Strecke von einer knappen Elle ab, und Katharina musste sich zwingen, nicht darüber nachzudenken, was sie damit wohl sagen wollte.
    »Ich brauche seine Hilfe.« Katharina konnte den Blick nicht von dem flammend roten Haar der Hure abwenden.
    »Seine Hilfe, so, so. Na, wenn du wirklich Arnulfs Freundin bist, dann sollte man dich besser in Ruhe lassen, denke ich. Mit Arnulf ist nicht zu spaßen, wenn er wütend ist. Wusstest du das?«
    Katharina verneinte. »Dann kennt Ihr ihn also?« Es kam ihr lächerlich vor, die Hure ehrfürchtig anzureden, während die sie die ganze Zeit frech duzte. Doch sie wagte es einfach nicht, es ihr gleichzutun.
    »Klar. Jeder hier kennt Arnulf. Wir Huren besonders, das kannst du mir glauben, Süße. Einmal hat er in einer Nacht sechs von uns ...«
    Katharina winkte ab. Sie wollte es gar nicht hören. »Wo finde ich ihn?«
    Die Rothaarige grinste anzüglich. »Hast es ja ganz schön eilig, was? Nun, ich kann dich verstehen. Üblicherweise findest du den schwarzen Arnulf in Niklas’ Gasthaus im Spittlertorviertel. ›Zur krummen Diele‹ heißt es.« Sie hielt eine Hand auf und wartete auf eine Belohnung für ihre Auskunft.
    »Ich habe nichts, das ich Euch geben kann«, beeilte sich Katharina zu sagen. »Aber ich werde für Euch beten. Ich danke Euch!«
    »Beten, pah!« Die Rothaarige spuckte aus, doch Katharina war bereits halb über den Steg. Nur noch undeutlich hörte sie, wie die Hure Willibald packte und auf die Füße zog und murmelte: »So’n Scheiß, was? Komm, mein Bester! Versuchen wir es doch noch mal miteinander.«
    * * *
    Der erste Schnitt brannte wie Feuer. Richard stemmte sich gegen seine Fesseln, er warf den Kopf von rechts nach links, aber es nützte nichts. Alles, was er tun konnte, war, zuzusehen, wie Marquard das nun blutige Skalpell langsam anhob, seine Schneide betrachtete und dann den Blick auf Richards Brust wandte, als müsse er entscheiden, wo er den zweiten Schnitt ansetzen sollte.
    »Marquard!«, stöhnte Richard. Dann besann er sich eines anderen und suchte Pömers Blick. »Bitte!«, flehte er.
    Pömer rührte sich nicht. Seine Hände hingen rechts und links von seinem massigen Körper herab, die Fingerspitzen tasteten über denStoff seiner Hosennaht. Und auf einmal wusste Richard, wo er den seltsamen Ausdruck in seinen Augen schon einmal gesehen hatte. In Pömers Gemach, als sie den Wahnsinnigen auf dem Großen Markt zugeschaut hatten. In jenem Moment hatte Pömer ähnlich ausgesehen, gleichzeitig verwirrt, angeekelt und dennoch fasziniert.
    Das Skalpell senkte sich ein zweites Mal in Richards Brust. Wieder schrie er, blutige Schleier wallten vor seinen Augen, und gerade als er glaubte, dem Schmerz in die Dunkelheit einer Ohnmacht entfliehen zu können, war die

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