Seraphim
sich ganz sicher. »Was werdet Ihr in der Zwischenzeit tun?«
»Ich lasse meinen Bruder rufen, und dann besorgen wir den Beleg für Pömers Schuld, mit dem wir die Büttel ohne direkten Befehl des Rates mitbringen können.« Er war schon halb zur Tür. Im Laufen griff er nach seinem Hut. »Los! Eilt Euch!«
Katharina zögerte, weil ihr ein Gedanke gekommen war. »Wie gelangen Bertram und ich in die Lochwasserleitung?«
»Durch die Lochwirtswohnung!« Schedel gab einem seiner Diener, einem jungen Mann von kaum achtzehn Jahren, den Befehl, seinen Bruder zu benachrichtigen, und war schon aus dem Haus, bevor Katharina richtig Luft holen konnte.
Als sie beim Henkersteg ankam, brannte ihre Lunge wie Feuer. Sie stolperte über einen Stein, der vor Bertrams Wohnung halb ausdem festgestampften Weg ragte, und prallte gegen die Tür. Dann hämmerte sie gegen das Holz, so fest, wie ihre Fäuste es zuließen.
Es dauerte nur Augenblicke, bis Bertrams schwere Schritte auf der Treppe ertönten und die Tür aufgerissen wurde.
»Kind!«
Sie machte sich nicht die Mühe, ihn zu grüßen. In schnellen, atemlosen Worten berichtete sie ihm, wozu sie ihn brauchte. »Hartmann Schedel versucht, die Büttel zu holen. Aber sie werden nur in die Felsengänge eindringen, wenn sie sicher sind, dass Pömer eine Gefahr darstellt«, endete sie. »Schedel ist im Rathaus, aber in der Zwischenzeit könnte Richard ...« Die Stimme versagte ihr.
»Richard Sterner? Der Mann, der dich gerettet hat?« Bertram nahm Katharina an den Oberarmen und blickte ihr ins Gesicht. Katharina wusste nicht, was er dort las, sie stand einfach keuchend und bebend da, und schließlich nickte er.
»Komm! Beeilen wir uns besser!« Er scheuchte den Löven aus dem Bett, ließ ihm kaum Zeit, sich ordentlich anzuziehen, und schon waren Katharina und die beiden Männer auf dem Weg zum Lochgefängnis.
* * *
Johannes Schedels Knie schmerzten vom langen Knien auf den harten Holzbänken der Predigerkirche, aber er zwang sich, sich nicht zu rühren. Er hatte die Hände gefaltet und den Kopf gesenkt und betete zum wiederholten Male das Vaterunser. Neben ihm hatte sich Markus Krainer schon vor längerer Zeit zurück auf die Bank gesetzt.
Jetzt hob Johannes den Blick und schaute den Inquisitor an. »Glaubt Ihr, dass Gott Euch den Tod Eurer drei Gefährten vergeben wird?«, fragte er.
»Ich weiß es nicht.« Krainer blinzelte. Seit der Wasserprobe hatte er nur wenige Stunden geschlafen, und seine Lider waren rot und geschwollen. »Ich frage mich die ganze Zeit, ob Gott mich mit dieser furchtbaren Sache nicht prüfen wollte.«
»Aber warum?« Johannes stützte sich auf der Rückenlehne der vor ihm stehenden Kirchenbank ab, erhob sich jedoch nicht. Seine Knie pochten, und der Schmerz zog sich bis hinauf in seine Oberschenkel.
»Er hat mich den dämonischen Einflüssen ausgesetzt, um mir klar zu machen, dass ich als Inquisitor nicht tauge.« Krainer lächelte traurig.
»Aber es war doch nicht Gott, der Euch heimgesucht hat!«
»Sondern wer?« Der Inquisitor klopfte auf die Bank neben sich, und endlich stand Johannes auf. Es kam ihm vor, als wollten seine Beine sich niemals wieder strecken lassen.
»Der Teufel?« Johannes flüsterte die zwei Worte.
Krainers Lächeln erstarb. »Was würde das ändern?«
Johannes wusste nicht, worauf er hinauswollte. Krainer tätschelte ihm die Hand wie einem kleinen Kind. »Selbst wenn es der Teufel gewesen wäre, dann wäre es noch immer mit Gottes Billigung geschehen.«
Johannes umklammerte seinen rechten Oberschenkel, weil ein Krampf ihn zucken ließ. »Ihr meint ...«
»Die Frage, die Ihr mir stellen wollt, ist doch folgende: Warum lässt Gott das Böse in der Welt zu? Wenn er allmächtig ist, könnte er doch ...« Er wurde unterbrochen, weil in diesem Moment die Kirchentür aufflog.
Ein junger Mann in der Kleidung eines Hausdieners kam hereingestürzt, stockte kurz und sah sich um. Er entdeckte Johannes in der Kirchenbank und kam zu ihm geeilt.
»Euer Bruder«, japste er, atemlos vom Laufen.
»Was ist mit ihm?« Das Gespräch über das Böse hatte Johannes unruhig gemacht, und er sprang auf die Füße. Dass seine Knie noch immer schmerzten, nahm er kaum noch wahr.
»Er bittet Euch, sofort zu ihm zu kommen. Er ist ...«, der junge Mann holte Luft, »... im Rathaus. Es scheint, als ob der Engelmörder ... noch am Leben ist.«
Johannes spürte, wie alles Blut aus seinem Gesicht wich. »Wer ...?«
Der junge Mann warf einen Blick auf
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