Seraphim
dem Druck zu entkommen, indem er den Kopf zur Seite riss.
»Sterner! Hört Ihr mich?«
Undeutlich nur schälte sich die heisere Stimme aus dem Dröhnen, das seinen Schädel erfüllte. Er versuchte, sich zu orientieren. Diesmal lag er nicht, sondern er befand sich in einer aufrechten Position. Seine Schultergelenke schmerzten, die Schnitte an der Brust, der Kopf ... Mühsam öffnete er die Augen.
Pömers feistes Gesicht schwebte dicht vor ihm, und Richard wollte etwas sagen, aber alles, was er herausbrachte, war ein Stöhnen. Er konnte die Haare sehen, die dem Getreidehändler aus der fleischigen Nase wuchsen. Ihre Spitzen flimmerten.
»Oh, Ihr seid wach! Gut.« Der Druck auf Richards Kiefer ließ nach, und er begriff, dass Pömer sein Kinn festgehalten hatte.
Seine Zunge lag dick und pelzig in seinem Mund. Er hob den Blick so weit, dass er Pömer in die Augen schauen konnte. Und zuckte zurück. Dort, wo sonst die Iris des Getreidehändlers war, befand sich nur ein grelles, schmerzhaftes Licht. Pömer verzog den Mund zu einer Grimasse, die seine Zähne entblößte. Auch sie flimmerten, und Richard begriff nur langsam, dass der Getreidehändler ihn anlächelte.
Richards Kopf kippte nach hinten und stieß schmerzhaft gegen eine Wand. Jetzt endlich erkannte er auch, warum er sich in einer so merkwürdigen Position befand. Jemand hatte ihm die Hände über dem Kopf an einen eisernen Haken gefesselt. Er hing hier wie ein zum Schlachten bereites Schwein! Seine Füße berührten den Boden, und er zwang sich, sein Gewicht auf sie zu verlagern. Er schwankte,aber das Seil hielt ihn aufrecht. Seine Schultergelenke und die Brust sandten dumpfe Schmerzsignale aus.
Plötzlich klatschte ihm etwas eisig kalt und nass ins Gesicht. Er japste, meinte, keine Luft mehr zu bekommen, doch als er den Anflug von Panik niedergekämpft hatte, erkannte er, dass Pömer ihm einen Eimer Wasser ins Gesicht geschüttet hatte.
Es wirkte.
Zwar verging das Flimmern nicht, doch für den Moment klärte sich sein Geist soweit, dass er wieder einigermaßen vernünftig denken konnte. Mit der Vernunft kam jedoch auch die Wut. »Was soll das?«, fuhr er Pömer an und ruckte an seinen Fesseln.
Pömer kicherte auf. »Oh, das ist nur eine kleine Vorsichtsmaßnahme!« Er sprach jetzt wieder mit heller, kindlicher Stimme, und Richard lief es eisig den Rücken hinunter. »Damit wir sicher sein können, dass du uns nicht entkommst. Weil Mutter sich doch so sehr einen neuen Engel wünscht!«
Die Worte brannten sich in Richards Gehirn, ließen etwas in seinem Inneren erzittern, so dass seine Beine unter ihm nachgeben wollten. »Ihr seid der Engelmörder!«, ächzte er.
Es war keine Frage.
* * *
Trotz der fortgeschrittenen Stunde war Hartmann Schedels Haus hell erleuchtet, und Katharina wurde sofort von einem Dienstmädchen geöffnet.
»Ich muss zu Medicus Schedel!«, keuchte sie, atemlos vom schnellen Laufen die steile Burgstraße hinauf.
»Frau Jacob?« Schedel stand in der Tür zu seinem Kontor. Die Haare standen ihm in einem wilden Wirbel vom Kopf ab, und sein Gesicht spiegelte Verblüffung. »Ihr lebt?«
»Dafür ist jetzt keine Zeit, es gibt einen neuen Schwan!« Katharina drängte sich an dem Dienstmädchen vorbei und hielt Schedel das inzwischen arg zerknitterte Blatt von Pömers Aufzeichnungen unter die Nase.
Schedel warf einen kurzen Blick darauf, dann starrte er Katharina ins Gesicht. Schließlich schüttelte er den Kopf, glättete seine wirren Haarsträhnen und bat sie in sein Kontor.
»Ein Freund von Richard schickt mich«, sprach sie eilig weiter. »Wir waren zusammen in Enzo Pömers Wohnung, und das hier stammt von ihm. Arnulf behauptet, Ihr wüsstet, was damit zu tun ist. Ich soll Euch sagen, das Antoniusfeuer ist die Verbindung.«
Jetzt griff Schedel nach dem Blatt, blickte darauf und runzelte verwirrt die Stirn. Dann ging er zu seinem Schreibpult und setzte sich eine Brille auf die Nase, die er auf einem aufgeschlagenen Buch abgelegt hatte. Nachdem er Katharina zum dritten Mal kopfschüttelnd gemustert hatte, ging er mit dem Blatt in der Hand zu einem Kerzenständer neben dem Pult, hielt es in das Licht und begann zu lesen. Mitten in der Lektüre blickte er erschrocken auf.
»Was ist?« Katharina trat neben ihn, versuchte den lateinischen Text von Pömers Aufzeichnungen zu entziffern, doch Schedel entzog ihr das Blatt. Er war totenblass geworden. Mit bebenden Lippen las er zu Ende, dann ließ er das Papier sinken, wankte zu einem
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