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Seraphim

Seraphim

Titel: Seraphim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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Schritten marschierte er an den einzelnen Abteilungen vorbei, las die kleine Schildchen an den Stirnseiten der Regalbretter, von denen die meisten schon bis fast zur Unkenntlichkeit verblasst waren. Und dann hatte er gefunden, was er suchte.
    »Hier!«
    Johannes, der vor wenigen Minuten erst hereingekommen war, nachdem ihm ein übermüdeter Ratsdiener den Weg gezeigt hatte, eilte an seine Seite.
    1460 –1470 stand in altmodischer Schrift auf dem Schild.
    Hartmann fuhr mit dem Zeigfinger die dicken ledergebundenen Bücher entlang, offenbar unschlüssig, für welches er sich entscheiden sollte. »Wir wissen nicht genau, wann er hergekommen ist!«, stöhnte er. »Es wird Stunden dauern, das hier alles durchzusehen!«
    * * *
    »Meister Gabriel, ich schwöre Euch, wenn Ihr uns nicht auf der Stelle einlasst, werde ich dafür sorgen, dass Eure Tätigkeit als Lochwirt schneller wieder beendet ist, als Euch lieb ist!«
    Drohend hatte sich Bertram vor Gabriel Dengler, dem neuen Lochwirt, aufgebaut. Er überragte ihn um mehr als eine Handspanne, und die Art und Weise, wie er die Fäuste in die Hüften gestützt hatte und von oben auf den kleineren Mann herabstarrte, ließ diesen ängstlich zurückweichen. »Ich darf Euch nicht reinlassen, nicht ohne Erlaubnis eines Bürgermeisters!«, ächzte Dengler. Er hatte eine helle Stimme, die ganz so klang, als sei sie noch nicht lange dem Stimmbruch entwachsen.
    In ihrer Angst begann Katharina zu fluchen. Das Rathaus war versperrt, da es inzwischen auf Mitternacht zuging, und so hatten sie die Rathaustreppe ins Loch nicht benutzen können, zu der Bertram Zugang hatte. Und an der Tür zur Lochwirtwohnung war ihnen Dengler entgegengetreten.
    »Hört zu!« Bertram griff den Lochwirt am Kragen und hob ihnein Stück in die Höhe, so dass seine Füße den Boden nicht mehr berührten. »Habt Ihr schon von dem Engelmörder gehört, der Nürnberg unsicher macht?«
    »Er wurde gefasst!«
    »Eben nicht! Er ist auf freiem Fuß, und soll ich Euch etwas sagen? Er ist dort unten, und er ist kein menschliches Wesen! Der Teufel hat ihn gesandt, und er hat einen Mann in seiner Gewalt.« Er schüttelte Dengler. »Einen guten Mann. Ihr werdet jetzt diese verdammte Tür für uns öffnen, oder Ihr könnt Euch sicher sein, dass mein ganzer Zorn Euch treffen wird!« Er sprach es nicht aus, aber Katharina wusste, dass dies eine Drohung war, den Lochwirt zu verfluchen. Und zur Einschüchterung war ein Henkersfluch ein wirkungsvolles Mittel.
    Dengler gab ein quiekendes Geräusch von sich. Bertram stellte ihn wieder auf die Füße.
    »Also?«
    »Ich ... ich darf es nicht!«
    »Ihr lasst mir keine andere Wahl!« Bertram holte aus und ließ die Faust mit voller Kraft in Denglers Gesicht krachen. Der schmächtige Lochwirt sackte wie vom Blitz getroffen zusammen. Bertram fing ihn auf, legte ihn auf dem Boden ab und tätschelte ihm die misshandelte Wange. »Tut mir leid, Kumpel!« Ohne Umschweife löste er den Schlüsselbund von seinem Gürtel, gab dem Löven einen Wink und stieg über Dengler hinweg. Er war schon die Treppe zur Küche hinunter, bevor Katharina sich neben dem Lochwirt niederknien konnte.
    Der Mann hatte die Augen nach oben verdreht, aber an seinem Hals klopfte es kräftig und regelmäßig.
    »Er wird wieder aufwachen«, rief Bertram von unten.
    Katharina nickte und erhob sich. Ihr war nicht wohl bei dem Gedanken, wie ihr Stiefvater den armen Mann behandelt hatte, aber im Moment war alles, was sie wollte, Richard vor diesem irrsinnigen Engelmörder zu bewahren. Also schob sie jeden anderen Gedanken beiseite, was ihr nicht schwer fiel, da sich immer wieder ein furchtbar klares Bild vor ihr inneres Auge schob.
    Richard. Tot. Mit weißen Flügeln.
    Sie unterdrückte ein Würgen und folgte dem Löven nach unten.
    Inzwischen hatte Bertram den richtigen Schlüssel gefunden und die Tür aufgestoßen. Der Löve folgte ihm als erster in die Finsternis des Loches.
    Katharina warf einen letzten zweifelnden Blick zurück, dann eilte sie den beiden hinterher.
    * * *
    Die Minuten verstrichen, und je länger Richard allein war, um so mehr veränderten sich seine Wahrnehmungen. Er fror, und das Zittern seiner Glieder verwandelte sich in ein unkontrolliertes Zucken, bei dem seine Zähne aufeinanderprallten. Schleier wallten vor seinen Augen und ließen sich auch durch heftiges Blinzeln nicht vertreiben. Er spürte, dass sich ihm jemand näherte, aber es gelang ihm nicht, zu erkennen, wer es war.
    »Schau hin!«, hörte

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