Seraphim
nicht. »Die lose Bodendiele!«, stöhnte er.
Schedel nickte langsam, aber keiner von beiden erklärte, wovon sie sprachen.
»Hört auf zu quatschen!«, knurrte Bertram. »Folgt mir.« Und sie rannten los, durch die engen und feuchten Gänge der Nürnberger Lochwasserleitung in Richtung Burgberg.
* * *
Der Schmerz war kurz und grausam, doch dann war er plötzlich verschwunden. Richard versuchte, den Kopf zu heben, aber es gelangihm nicht. In seinen Ohren kreischte es. Ein Kitzeln rann langsam seinen Rücken hinunter. Es fiel ihm schwer, zu begreifen, was es war, aber Pömers kindliche Stimme – Lorenz’ Stimme – zeigte es ihm.
»Es blutet so doll!«
»Es ist gut so!«
Eine zweite Stimme? Richard machte einen neuen Versuch, den Kopf zu heben. Diesmal schaffte er es, aber vor seinen Augen wallten blutige Schleier. Wenn da wirklich jemand anderes als Pömer war, so versteckte er sich in den Schatten zwischen den Säulen.
Das Kitzeln erreichte Richards Gürtel. Mit furchtbarer Klarheit spürte er, wie sich der Stoff seiner Hose vollsaugte. Dann kehrte der Schmerz zurück, ebenso grell und schrecklich wie zuvor.
»Ein schöner Flügel ist das«, flüsterte Lorenz. »Nicht wahr?«
Der zweite Schnitt, den Pömer in Richards andere Schulter senkte, schmerzte genauso höllisch wie der erste, und wieder schrie Richard. Er warf den Kopf in den Nacken, spürte, wie ihm die Sinne schwinden wollten.
»Warum ... tut ... Ihr das?«, hauchte er.
Im nächsten Moment erhielt er einen harten Stoß in den Rücken.
»Schweig!«, zischte Lorenz dicht an seinem Ohr. »Schweig!«
Pömer stieß ein trockenes Schluchzen aus, das Richard an den Laut eines verängstigten Kindes erinnerte. Seine Kraft hatte ihn jetzt fast vollständig verlassen. Die Beine baumelten ihm nutzlos unter dem Körper, unfähig, sein Gewicht zu tragen, das nun vollständig an seinen Schultergelenken hing. Die Schmerzen, die in Wellen durch seinen gesamten Körper rasten, waren mörderisch.
Er hatte das Gefühl, dass Pömer sich von ihm entfernte, aber sehen konnte er es nicht. Blutige Schleier wallten vor seinen Augen. Ein Geräusch ertönte, das er schon einmal irgendwo gehört hatte. Ein leises Knacken und Knirschen, seltsam rhythmisch.
Ein Hahn, dachte Richard zusammenhanglos.
»Mein schöner Engel!« Pömer war wieder da. Lorenz! Der Name ging Richard durch den Kopf. Lorenz? Wer war dieser Lorenz?
Dann. Plötzlich. Eine vertraute Stimme.
»Lass die Finger von ihm, du fettes Schwein!«
Richard wusste, dass er den Besitzer der Stimme kannte, aber er konnte nicht mehr klar genug denken, um zu begreifen, wer es war.
»Nein!«, kreischte Pömer.
Richards Geist drohte sich zu verdunkeln. Er vernahm das leise Sirren, mit dem ein Schwert aus der Scheide gezogen wurde, dann einen gepresst hervorgestoßenen Fluch. »... du verdammter Hurensohn! Richard, ich bin hier! Ich hole dich hier raus!«
Und in diesem Moment wusste Richard, dass Arnulf gekommen war.
Die Tunnel verzweigten sich immer und immer wieder, doch Arnulf hatte mit Kreide die Abzweigungen markiert, so dass Bertram sie ohne Mühe immer weiter bergan führen konnte. Der Henker hatte, ebenso wie sein Gehilfe und die Büttel, sein Schwert gezogen und trug es mit zu Boden gesenkter Spitze vor sich her.
Plötzlich hallte ihnen ein langgezogenes, irres Kreischen entgegen. »Nein!«
Katharina zuckte zusammen, so unheimlich klang es in den engen und düsteren Tunneln. Bruder Johannes bekreuzigte sich, und einer der Büttel tat es ihm nach. Bertram war der erste, der reagierte. Er begann zu laufen, und die anderen folgten ihm.
Sie erreichten eine Wendeltreppe, hielten an ihrem Fuß kurz an. Der Lärm kam von oben. Bertram rannte die Stufen hinauf.
Katharina erreichte das Ende der Treppe als Letzte, und die Szenerie, die sich ihr bot, überforderte für einen Augenblick ihr Fassungsvermögen. Sie sah Arnulf, halb abgewandt von ihnen. Er stand mit gespreizten Beinen und hielt sein Schwert vor dem Leib erhoben, als erwarte er den Angriff seines Gegners. Ihm gegenüber, so dass Katharina in sein Gesicht schauen konnte, stand Enzo Pömer. Entschlossenheit strahlte in seinem Gesicht, eine wahnsinnig anmutende Gelassenheit, wie sie jemand empfinden mochte, der sich seinem Gegner turmhoch überlegen glaubte. Die Tatsache, dass er nur ein einfaches kurzes Messer in den Händen hielt, dessen Klinge er mit der von Arnulfs Schwert gekreuzt hatte, schien ihn nicht im Mindesten zu beunruhigen.
Ein
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