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Seraphim

Seraphim

Titel: Seraphim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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– hohen spitzbogigen Fenstern, einem großflächigen steilen Dach und dem kleinen Kapellenchörlein an seiner Ostseite – sprach das Rathaus von der Macht der Nürnberger Bürger.
    Der Eingang zum Lochgefängnis lag in einer schmalen Gasse und hätte leicht übersehen werden können, so unauffällig war er im Gegensatz zu der breiten steinernen Treppe, die linkerhand in den Rathaussaal hinaufführte. Hinter einer nur wenig verzierten Holzwand befand sich eine ebenso schlichte, jedoch massive Tür ohne jede Kennzeichnung. Dieser Tür gegenüber, auf der anderen Seite der Gasse, befand sich die Wohnung des Lochwirtes. Ihr Eingang war kaum mehr verziert als jener des Loches, doch wenigstens führte zu ihm eine steinerne Stufe hinauf, und ein Klingelzug ragte direkt daneben aus der Wand.
    Katharina langte nach dem Griff der Klingel, der wie ein Steigbügel geformt war. Kindern der Umgebung diente er für ihre Mutproben,die darin bestanden, unten an der Pegnitz einen Frosch zu fangen, ihn an dem Klingelzug aufzuhängen und dann zu läuten, ohne dabei vom Lochwirt erwischt zu werden.
    Es dauerte eine Weile, bis sich die Tür zu Sebalds Wohnung öffnete. Eine alte Frau streckte den Kopf durch den Spalt. »Wer ist da?« Sie reichte Katharina nur knapp bis an die Brust, und ihr weißes Haar stand wirr in alle Himmelsrichtungen ab.
    »Guten Morgen, Sigrid!« Katharina trat einen Schritt näher und verbiss es sich, die alte Frau darauf hinzuweisen, dass ihr Sohn ihr verboten hatte, einfach zu öffnen, ohne zu wissen, wer draußen stand.
    »Katharina!« Die Tür wurde weit aufgerissen. »Komm rein, meine Liebe! Du willst zu Sebald, nicht wahr?«
    Aus reiner Gewohnheit sah Katharina sich nach rechts und links um, bevor sie die Wohnung des Lochwirts betrat. »Ja. Ist er da?«
    »Wer ist gekommen, Mutter?« Sebalds Stimme erklang aus einem der hinteren Räume, und während Sigrid die Tür wieder schloss, wandte sich Katharina nach rechts und betrat einen gefliesten, als Stube dienenden Raum.
    Mehrere Stühle standen hier um einen runden Tisch, und die Schränke waren in die Wände eingelassen, so dass sie keinen Platz raubten. Ein Fenster führte auf die Gasse hinaus und ließ nur wenig Licht herein, denn die Häuser hier standen eng.
    Eine von Sebalds beiden Dienstmägden, ein zierliches Ding mit schmalen Lippen und vorstehenden Augen, saß auf einem Schemel in der Ecke und nähte. Als das Mädchen Katharina entdeckte, stand es auf, nahm seine Arbeit an sich und huschte an ihr vorbei aus dem Raum.
    An den Wänden hingen neben einem Kästchen, in dem Sebald Schlüssel aufbewahrte, drei bunte, schlicht ausgeführte Gemälde. Eines zeigte den heiligen Franziskus, die anderen beiden einen griechisch aussehenden Mann mit golden angemalten Lippen, der einen Bienenkorb zwischen den Beinen stehen hatte, und eine Frau im Nonnenhabit mit einer Lampe in der Hand. Diese beiden hatte Katharina damals, als sie die Küche das erste Mal betreten hatte, nicht erkannt, auch wenn ihr klar gewesen war, dass sie Heilige darstellen sollten. Auf ihre Nachfrage hatte Sebald ihr stolz erklärt, der Mannsei ein Kirchenvater namens Johannes gewesen, der von der Mutter Gottes auf den Mund geküsst worden war und auf diese Weise sein Stottern verloren hatte. Aus diesem Grund hatte man ihm den Beinamen Chrysostomos, Goldmund, gegeben. Die Frau dagegen war Jutta von Sponheim, die Lehrerin der berühmten Hildegard von Bingen. Katharina hatte nie aus Sebald herausbekommen, warum er ausgerechnet sie so sehr verehrte, aber die Tatsache, dass er eine Weggefährtin der Hildegard zu seiner persönlichen Heiligen erkoren hatte, hatte sie auf seltsame Weise angerührt, besaß sie selbst doch eine ganz besondere Beziehung zu Hildegard von Bingen.
    Auf dem Tisch standen zwei Teller, von denen der Geruch gekochten Fleischs aufstieg. Vor einem der Teller saß Sebald und lächelte Katharina an.
    Eine Talglampe in der Mitte des Tisches half dem kleinen Fenster dabei, den Raum zu erleuchten. Trotzdem war es recht düster. Katharina, die noch den warmen Sonnenschein auf ihrer Haut spürte, rieb sich unwillkürlich die Oberarme. Aber obwohl sie fröstelte, war sie im Grunde ihres Herzens froh über das Dämmerlicht. Auf diese Weise ließen sich Sebalds Entstellungen leichter übersehen. Rechts fehlten ihm die letzten Glieder von Daumen, Zeige- und Mittelfinger, was seiner Hand etwas Gedrungenes gab. Links hatte er irgendwann den gesamten kleinen Finger verloren. Seine Nase

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