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Seraphim

Seraphim

Titel: Seraphim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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Tränen. Ihr Herz wollte sich weigern, auch nur einen weiteren Schlag zu tun, bis sie erledigt hatte, was nötig war. Ihr gesamter Körper stand in Flammen.
    Sie streckte die Hand aus und berührte den Toten an der Schulter.
    Der Körper war kühl, die Wärme, die einmal von ihm ausgegangen war, nur noch eine Andeutung. Katharina packte zu, und sie schaffte es, den Toten umzudrehen. Einer der Flügel knackte leise. Sie nahm es kaum wahr.
    Sie schaute in ein vertrautes Gesicht. In Augen, die sie noch gestern spöttisch lächelnd angesehen hatten. Jetzt starrten sie blind und ausdruckslos gegen das Gewölbe.
    Ein Schluchzen saß in ihrer Kehle fest, schmerzte dort so unendlich, dass Katharina nur keuchend atmen konnte.
    »Bei allen Heiligen!«, hörte sie Sebald hinter sich sagen. »Das ist ...«
    »SPRICH – es – nicht aus!«, schrie sie ihn an.
    Der Tote war. Matthias. Ihr. Bruder.
    * * *
    Guillelmus hatte an Johannes Schedels Zellentür geklopft, weil der Prior ihm befohlen hatte, den Infirmarius zu ihm zu bringen.
    Nun, keine fünf Minuten später, stand Johannes vor seinem Oberen und dachte darüber nach, ob er ihm erzählen sollte, was soeben in seiner Kammer geschehen war. Dem Prior, der in seinem Gemach auf und ab marschierte und dabei eine lange Litanei an Befürchtungen von sich gab, widmete er nur die halbe Aufmerksamkeit.
    »... sie werden kommen und den Vorfall untersuchen wollen, und Ihr könnt Euch denken, was das zu bedeuten hat ...« Prior Claudius blieb stehen, fasste Johannes ins Auge und nickte zufrieden, als der eine fragende Miene aufsetzte und vorgab zuzuhören. »Rom hat uns ohnehin bereits im Visier«, sprach er weiter und nahm auchseine Wanderung wieder auf. »Wegen der Rolle, die wir vor Jahren beim Besuch von Kardinal Bessarion gespielt haben.«
    Johannes wusste, was damals geschehen war, auch wenn er sich zu jener Zeit nicht in der Stadt aufgehalten hatte. Fast dreißig Jahre war es her, dass der Kardinal die Länder nördlich der Alpen besucht hatte, um sie zu einem Kreuzzug gegen die Türken zu überreden. Damals hatte Claudius’ Vorgänger, Prior Ignatius, in einer Disputation mit dem Kardinal seine Bedenken über den Sinn eines solchen Kreuzzugs dargelegt und sich dadurch den Zorn Roms zugezogen.
    Johannes zog schaudernd die Schultern in die Höhe, denn das Gespräch über jenen Vorfall vor dreißig Jahren rief in ihm eine Erinnerung wach. Die Erinnerung an ein Ereignis, das ebenfalls dreißig Jahre zurücklag und das er bis heute erfolgreich aus seinem Gedächtnis verbannt hatte.
    Er wartete, bis Prior Claudius ihm den Rücken zuwandte und rieb sich mit den Knöcheln seiner beiden Zeigefinger die Augen. Konnte es sein, dass der Teufel, den er vorhin so erfolgreich aus seiner Kammer vertrieben hatte, noch immer in der Nähe war? Unauffällig sah sich Johannes um, aber er konnte nichts Ungewöhnliches entdecken.
    Dennoch hatte er plötzlich das Gefühl, dass sich eine fürchterliche Gefahr näherte.
    »... Ihr zu tun?« Claudius’ Stimme war mit den letzten Worten lauter geworden, und Johannes erkannte, dass er unaufmerksam gewesen war.
    »Ich ... wie meintet Ihr?«, stotterte er.
    Claudius zog die Augenbrauen zusammen und kam näher, um Johannes zu mustern. »Geht es Euch nicht gut?«, fragte er, und es schwang tatsächlich etwas Besorgnis in seinen Worten mit. »Ihr seid plötzlich ganz blass!«
    Johannes fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Nein, nein. Es geht schon. Nur haben mich die Ereignisse der vergangenen Nacht etwas ... mitgenommen.«
    »Wie uns alle«, sagte der Prior, und jetzt klang er tadelnd. »Das ist auch der Grund, warum ich von Euch wissen möchte, was Ihr für die Ursache dieser schrecklichen Tat haltet!«
    »Ich weiß es nicht«, gestand Johannes. »Bisher hatte ich noch nicht die Gelegenheit, ihn zu befragen, und sein Körper lässt keinerlei Aufschlüsse darüber zu, woran er leidet. Er könnte vergiftet worden sein, aber ich vermag an seinem Atem keinen der typischen Gerüche von Gift wahrzunehmen. Ohnehin wüsste ich auch keine Substanz, die einen Mann dazu treibt, seine Gefährten zu töten, und ihn anschließend in einen totenähnlichen Schlaf sinken lässt. Krämpfe oder Raserei, ja. Aber so zielgerichtete Mordlust?« Er zuckte die Achseln.
    »Gibt es noch eine andere Möglichkeit außer Gift?« Der Prior hatte an seinem Schreibpult Halt gemacht und schob nun einige Papiere darauf hin und her.
    »Natürlich.« Johannes presste die Lippen zusammen.

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