Seraphim
seiner Miene nach Zeichen dafür, dass er versuchte, sie in Sicherheit zu wiegen, aber sie fand keines. Offenund arglos sah er ihr in die Augen, und sie war sich sicher, dass er keine Ahnung hatte.
»Da war ich.« Katharina biss sich auf die Unterlippe und überlegte, wie sie ihn am besten dazu bringen konnte, sie zu Faro zu lassen.
Er lächelte. »Wie geht es dir?«
Sie zuckte die Achseln. »Nicht gut. Darf ich reinkommen?«
Er trat zur Seite. »Natürlich. Kann ich dir irgendwie helfen?«
Als Katharina die Wohnung betrat, überfiel sie der Rest der Erinnerung, der ihr bis zu diesem Moment gefehlt hatte. Nachdem Sebald Faro das Messer abgenommen und sie selbst sich wieder aufgerappelt hatte, hatten sie eine Weile dagestanden und überlegt. Und dann waren in den Gängen Schritte ertönt. »Komm!«, hatte Sebald ihr zugezischt und sie zurück in seine Wohnung gezerrt. »Das ist jemand aus dem Rathaus. Wahrscheinlich einer der Lochschöffen. Er muss nicht wissen, dass du die Leiche entdeckt hast.« Und er hatte sie in eine dunkle Ecke hinter einen Schrank gedrängt, wo sie sich mit über den Kopf gelegten Armen zusammengekauert hatte, bis er zurückgekommen war und sie zu Bertram gebracht hatte.
Jetzt sah Katharina sich um. Sigrid war nirgends zu entdecken, nur eine der Dienstmägde war dabei, irgendein Stück Leinen zu stopfen. Sie sah kaum auf, als Katharina die Stube betrat.
»Ich ... warum hast du mich vor den Bütteln versteckt?«
Sebald blickte in Richtung des Mädchens. »Es ist gut, Anna. Du kannst jetzt aufhören. Meine Mutter muss vom Bader abgeholt werden – kümmerst du dich bitte darum?«
Das Mädchen nickte, verstaute ihre Arbeit in einer Truhe und verschwand dann.
Sebald wartete, bis sie fort war. Dann zuckte er die Achseln. »Du begegnest ihnen nicht gern«, beantwortete er Katharinas Frage.
Katharina kam sich vor wie eine Betrügerin. Sie glauben, ich sei eine Hexe! , schrie alles in ihr, aber sie brachte keinen Ton über die Lippen. Sie schluckte hart. »Ist das alles?«
»Es reicht.« Sebald stellte das volle Kehrblech in eine Ecke.
Katharina besann sich darauf, warum sie hier war, aber noch zögerte sie, Sebald darum zu bitten, sie zu Faro zu lassen. »Weißt du,wohin man Matthias’ Leichnam gebracht hat?«, fragte sie stattdessen.
Sebald zupfte an einem Stückchen Haut, das von seiner Unterlippe abstand. »Ins Predigerkloster.« Er sagte es, als sei es eine schlimme Nachricht.
»Warum dorthin?«
»Wegen der ...« Er zögerte. »Flügel.«
Es dauerte einen Moment, bis Katharina verstand, was er meinte. »Sie wollen ihn in geweihter Umgebung haben«, murmelte sie. »Um sicher zu gehen, dass er nicht ...« Ihr Magen drehte sich. Um sicher zu gehen, dass er nicht wiederauferstand.
»Ich möchte zu Faro«, sagte sie rasch, um nicht weiter darüber nachdenken zu müssen.
»Warum das?« Sebald warf einen prüfenden Blick auf den Kupferkessel. »Er ist noch immer nicht zur Besinnung gekommen.«
»Ich möchte ihn sehen.« Katharina trat an die oberste der in die Küche hinabführenden Stufen. »Lässt du mich ein?«
Sebald kratzte sich am Hinterkopf. »Ich weiß nicht.«
»Wenn ich als Lochengel zu ihm wollte, würdest du es tun«, meinte Katharina.
»Vielleicht. Er ist dein ... er hat ...« Hilflos hob Sebald die Hände. »Findest du nicht, dass du zu deiner Mutter gehen solltest? Ihr könntet euch gegenseitig Trost spenden!«
Katharina knirschte mit den Zähnen. »Die Zeiten, in denen ich bei meiner Mutter Trost fand, sind lange vorbei, Sebald, und das weißt du!« Sie dachte daran, wie sie in Mechthilds Schoß geweint hatte, aber die Erinnerung war nicht tröstlich für sie.
Sebald ließ sie nicht aus den Augen. Seine Unterlippe zitterte ein wenig, als er erwiderte: »Ich weiß nur, dass du dir etwas vormachst.« Wie um einer scharfen Antwort zu entgehen, wandte er sich ab. »Komm. Ich schließe dir auf.«
In der Brunnenstube wehte Katharina die feuchte, dunkle Kühle des Lochgefängnisses entgegen. Diesmal kam es ihr vor, als sei auch noch der letzte Rest von Helligkeit aus den Kerkern verschwunden, sogar die rußenden Talgfunzeln schienen mehr Düsternis zu spendenals Licht. Katharina spürte Sebalds Gegenwart hinter sich und war versucht, sich an ihn zu drängen, um bei ihm Schutz zu suchen.
Er schien ihre Gefühle zu erahnen, denn bevor sie den Gang betraten, legte er Katharina eine warme Hand auf die Schulter. »Erschrick dich nicht, ich habe vorhin noch jemanden
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