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Seraphim

Seraphim

Titel: Seraphim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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krakelige Handschrift seines Bruders zu entziffern, aber es gelang ihm nicht. Das einzige, was er lesen konnte, war das Wort Reggio – König .
    »Ein Lobgedicht auf unseren König Maximilian«, ertönte eine Stimme hinter Johannes’ Rücken.
    In der Tür stand sein Bruder. Er war ein ganzes Stück größer als Johannes, aber er hatte dieselbe Statur: leicht schwammig und zu Fettansatz neigend. Unter blonden Brauen ruhten zwei flinke, hochintelligente Augen, mit denen er seinen Bruder jetzt wachsam musterte.
    »Hartmann!« Johannes’ Stimme krächzte. »Wir ...«
    Mit einer ruppigen Handbewegung brachte Hartmann Schedel Johannes zum Schweigen. Er trat an das Schreibpult. Behutsam nahm er das Blatt mit dem Gedicht vom Stapel, las ein paar Zeilen und schüttelte den Kopf. »Das muss ich dringend noch einmal überarbeiten. So geht das nicht.«
    Johannes wollte erneut zu einer Erklärung ansetzen, doch wieder hob Hartmann nur die Hand, und er verstummte, bevor er das erste Wort herausgebracht hatte.
    Hartmann griff nach der Feder. Mit langsamen Bewegungen schraubte er ein Tintenfass auf, tauchte die Feder hinein und strich ein paar Zeilen seines Gedichtes durch. Dann las er erneut, halblaut murmelnd diesmal.
    »Besser.« Er ließ das Blatt sinken und sah Johannes direkt in die Augen. »Ich weiß, warum du gekommen bist.«
    Johannes schöpfte Atem. »Der Eng...«
    »Scht!« Hartmanns Zeigefinger schnellte hoch und legte sich auf seine eigenen Lippen. »Wir sollten es nicht laut aussprechen.«
    Johannes stieß ein japsendes Geräusch aus. »Es hat einen Engelmord gegeben«, hauchte er so leise, dass er sich selbst kaum verstehen konnte.
    Hartmann warf das Blatt zurück auf seinen Stapel. »Ich sagte, ich weiß es bereits.«
    Johannes’ Augen weiteten sich. »Und?«
    Hartmanns Gesicht war ausdruckslos. »Was und?«
    »Willst du nichts unternehmen?« Fassungslos sah Johannes seinen Bruder an.
    Hartmann schüttelte den Kopf. Es war eine nachdenkliche Geste, aber der harte Ausdruck in seinen Augen bewies Johannes, dass er seine Entscheidung längst getroffen hatte. »Warum nicht?«, flüsterte er.
    »Weil wir nichts wissen.«
    »Ein Toter ... Schwanenflügel! Hartmann! Das reicht doch aus!«
    Jetzt legte Hartmann Schedel auch die Feder zur Seite. Mit einem fürsorglichen Ausdruck auf dem Gesicht trat er neben Johannes und legte ihm den Arm um die Schultern. »Wir wissen noch so gut wie gar nichts! Bevor wir etwas unternehmen können, will ich mir selbst ein Bild von der Sache machen, hast du gehört? Man munkelt auf den Straßen, dass sie den Toten zu euch gebracht haben, stimmt das?«
    Johannes nickte. »Darum weiß ich ja davon.«
    »Gut. Ich muss ihn mir anschauen, und dann sehen wir weiter, in Ordnung?« Hartmann drehte Johannes so um, dass er ihn mit beiden Händen an den Schultern packen konnte. »In Ordnung, Johannes?«
    Johannes zögerte. Dann nickte er.
    Hartmann ließ ihn los. »Schön. Erwarte mich demnächst im Kloster. Und jetzt geh!« Er legte Johannes eine Hand zwischen die Schulterblätter und schob ihn in Richtung Tür. »Und: Johannes?«
    Johannes warf ihm über die Schulter einen Blick zu. »Ja?«
    »Reiß dich zusammen, hörst du?«

8. Kapitel
    Nachdem Katharina Bertrams Wohnung weit hinter sich gelassen hatte, überkam sie der Wunsch, zu Faro zu gehen, ihm ins Gesicht zu sehen. Ihn zu packen und zu schütteln und ihn zu fragen, was in der Lochwasserleitung geschehen war.
    Mehrmals lenkte sie ihre Schritte in Richtung Rathaus, aber es war, als weigere sich ihr Körper, ihrem Willen zu gehorchen. Kaum war sie bis auf einige Straßen an das Lochgefängnis heran, begann ihr Herz zu stolpern und ihr Magen zu revoltieren.
    Schließlich gab sie es auf und entschied, in ihr eigenes Haus zurückzukehren, um sich ein wenig auszuruhen und zu neuen Kräften zu kommen.
    Lautes Gelächter drang aus der Druckerei in der Nähe des Kartäuserklosters. Es kam Katharina, die es sonst gern hörte, schrill und unangenehm vor.
    Die Druckerei gehörte einem Kaufmann namens Bernhard Walther, doch ihn sah man hier nur selten. Der Drucker aber, der für ihn arbeitete, war ein freundlicher Mann, dessen gute Laune Katharina sonst sehr zu schätzen wusste. Seine Gesellen hatten bei der herrschenden Sommerhitze die beiden Flügeltüren ihrer Arbeitsstätte weit offenstehen. Durch den Torbogen hindurch konnte Katharina sehen, wie einer der Männer die große Handkurbel der Druckerpresse bediente, um den Druckstock hochzufahren,

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