Seraphim
eingelassen«, meinte er. »Einen Patrizier. Er ist im Auftrag eines der Stadträte hier.« Er schob sich an Katharina vorbei und übernahm die Führung. Bei der ersten Zellentür, an der sie vorbeikamen, tauchte hinter dem handbreiten Guckloch ein blasses, in der Düsternis der Talgfunzeln kaum erkennbares Gesicht auf. Katharina vermied es, genauer hinzusehen, zu sehr erinnerte sie das bleiche, stumme Antlitz an einen Geist, der vom Wind herangeweht worden war und nun in die Finsternis zurückgezogen wurde. Katharina schlang die Arme um sich und bohrte die Fingernägel ins Fleisch ihrer Oberarme.
Von irgendwo aus den Tiefen des labyrinthischen Verlieses drang leises Gemurmel. Es hörte sich an, als komme es direkt aus den feuchten Felsen, unheimlich und körperlos. Katharina erkannte es erst bei genauem Hinhören als Gebet.
Mehrfach änderten sie ihre Richtung, und etliche Male musste Sebald Zwischentüren auf- und hinter ihnen wieder zuschließen, bis sie schließlich zu einer Zelle gelangten, über deren Tür ein roter Hahn gemalt worden war. Die Luft war hier so klamm, dass Katharina die Felsen zu spüren glaubte, die sich zwischen ihr und dem Tageslicht befanden.
Vor der Zellentür stand ein Mann.
Er hatte sich ihnen zugewendet, als Sebald die Zwischentür aufgesperrt hatte, und jetzt, da sie zu ihm traten, neigte er den Kopf zu einem knappen Gruß. Er war groß. Seine hellbraunen Haare ragten lang und in feine Wellen gelegt unter einem weichen, schwarzen Hut hervor und fielen ihm rechts und links vom Gesicht bis fast auf die Brust. Seine Züge bedeckte ein sehr kurz geschnittener hellbrauner Bart, und die ebenfalls braunen Augen, aus denen er Katharina musterte, hatten etwas Glühendes, dem sie sich nur schwer entziehen konnte.
Wortlos trat der Mann zur Seite und machte ihr den Weg zu Faros Zelle frei.
»Seid Ihr fertig?«, hörte sie Sebald den Fremden fragen.
»Ja.« Der Mann hatte eine angenehme Stimme, weder hoch noch besonders tief, aber etwas schwang in ihr, das Katharinas Blicke auf ihn zog. »Ihr könnt mich nach oben bringen.«
Mit der Faust schlug der Mann zweimal gegen die Zellentür. Katharina vermutete, es müsse eine Art Gruß sein, ein Abschied für Faro.
»Ihr werdet Euch eine Weile gedulden müssen. Ich kann diese Dame nicht allein hier lassen.« Sebald spielte mit seinem Schlüsselbund. Katharina bemerkte, dass er dem Fremden auswich, als fürchtete er ihn auf unbestimmte Weise.
»Geh ruhig«, sagte sie ihm. »Ich komme einen Augenblick ohne dich aus.«
Sebald wirkte skeptisch. »Bist du sicher?«
Sie nickte und brachte ihr Gesicht ganz dicht an das kaum handgroße Fensterchen in der Zellentür. »Faro?«, fragte sie, während hinter ihr die Zwischentür ins Schloss fiel und die Stille des Kerkers über ihr zusammenschlug.
Faro antwortete nicht.
Katharina nahm eine der Funzeln von ihrem Sims und hielt sie so dicht wie möglich an das Guckloch. Ein winziger Ausschnitt des steinernen Fußbodens wurde aus der Finsternis gerissen, aber alles, was Katharina erkennen konnte, war ein einzelner Fuß.
»Faro, ich bin es, Katharina!«
Sie lauschte einen Augenblick und wollte schon den Mund öffnen, um weiterzureden, als von innerhalb der Zelle ein langgezogenes Stöhnen erklang. Gequält und gleichzeitig unheimlich klang es.
»Faro?« Katharinas Stimme zitterte jetzt. »Faro, wie geht es dir?«
Eine Weile regte sich nichts, dann glaubte Katharina, ein leises Rascheln zu hören. Es klang, als reibe Stoff über Gestein.
Wieder erklang das Stöhnen, so dumpf und tief, als seien es die Felsen selbst, die es ausstießen.
Und dann war Faros Gesicht ganz nah an dem Guckloch. Sein Atem streifte Katharinas Gesicht.
Mit einem leisen Aufschrei fuhr sie zurück. Im trüben Licht der Funzel wirkten Faros Züge bleich und eingefallen. Seine Augenflackerten, und die winzige Flamme spiegelte sich unruhig in ihnen. Immer wieder blinzelte er, als schmerze ihn das Licht.
Und dann fing er an zu sprechen: »... und da sah ich den Herrn. Er saß auf einem hohen und erhabenen Thron. Der Saum seines Gewandes füllte den Tempel aus. Seraphim standen über ihm. Jeder hatte sechs Flügel.« Er warf den Kopf in den Nacken und stöhnte zum dritten Mal. Das Geräusch hallte von der Decke seines Verlieses wider.
Katharina wurde kalt.
»Sechs Flügel!« Faros Faust donnerte gegen das Holz der Tür.
Wieder zuckte Katharina zurück.
»Sechs Flügel haben sie, hörst du das?« Er legte den Kopf in den Nacken und
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