Seraphim
nur ... versteht doch: die Umstände! Ich kann nicht einfach jeden ...« Er raufte sich die Haare, so dass sie in wilden Büscheln in die Höhe standen.
Katharina schaute aus den Augenwinkeln auf Sterner. Sein Unterkiefer war eine scharfe Kante in seinem Gesicht, die Muskeln traten sichtbar hervor, als er die Zähne zusammenbiss.
In diesem Moment handelte Katharina ohne nachzudenken.
»Ich habe diesem Mann die Erlaubnis erteilt«, sagte sie leise.
Es war, als nehme der Mönch sie jetzt überhaupt erst wahr. »Und wer seid Ihr, wenn ich fragen darf?«
»Katharina Jacob«, stellte sie sich vor. »Der Tote ist ...« Sie unterbrach sich, um sich nicht zu verraten.
Sterner musterte sie aufmerksam, und er sah aus, als wolle er etwas zu ihr sagen. Dann jedoch schien er es sich anders zu überlegen. Fest fasste er den Mönch ins Auge. »Führt uns zu dem Toten!«, befahl er.
Der stieß ein weinerliches Jammern aus, aber zu Katharinas Entsetzen willigte er schließlich ein.
9. Kapitel
Während Richard Bruder Johannes und Katharina Jacob über den Klosterhof folgte, kreisten seine Gedanken um ihre Reaktion von eben. Irgendetwas belastete diese junge Frau, das fühlte er. Und auch wenn der Blick ihrer rauchgrauen Augen nach wie vor ausdruckslos war, glaubte er einen großen Schmerz von ihrer Gestalt ausströmen zu spüren, wie Hitze von einem Feuer. Was war es, das in ihr vorging?
Sie durchquerten ein Gebäude, das das gesamte Klostergelände von Nord nach Süd durchzog. An seiner Rückseite befand sich ein Kreuzgang.
Bruder Johannes schien über ihren Besuch überhaupt nicht glücklich zu sein, und Richard fragte sich, woran das liegen mochte. Bevor er jedoch zu einem Schluss kam, erreichten sie eine reich mit Schnitzereien verzierte Tür.
Die Vertreibung aus dem Paradies.
Richard bemerkte, wie sich Katharinas Nacken beim Anblick des strafenden Engels versteifte, den ein Künstler in das Holz geschnitzt hatte. Die Angeln der Tür quietschten leise, als der Mönch sie aufstieß, und der Geruch von erkaltetem Weihrauch stieg Richard in die Nase. Eine Kapelle. Ihr Inneres war schlicht gehalten, drei unbequem aussehende Bänke standen vor einem Altar, der mit einem grünen Tuch bedeckt und von einem geschnitzten Kruzifix gekrönt wurde. Eine Handvoll Kerzen brannte in einem Eisengestell rechts neben dem Altar, und ein Fenster leuchtete in allen Farben des Regenbogens: eine weitere Engelsfigur, die mit weit ausgebreiteten Armen und hell glänzenden Flügeln auf die Kapellenbesucher herabblickte.
Katharina presste die Hand vor den Mund. Richard musterte erst sie, dann Bruder Johannes, doch auch der Mönch schien vom Anblick des Engels in den Bann geschlagen zu sein. Mit starrer Mieneschaute er auf das Fenster und wurde von Augenblick zu Augenblick blasser.
An der rechten Kapellenwand standen in Reih und Glied vier Bahren. Drei von ihnen hatte man mit einem violetten Tuch verdeckt, die vierte mit einem weißen. Als Johannes’ Blick auf die violetten Leichentücher fiel, ächzte er.
Katharina tat einen Schritt auf die Bahren zu.
»Warum vier Tote?«, fragte Richard.
Bruder Johannes stieß ein Wimmern aus. »Es ist nicht so ... die Toten ... ich vergaß ...« Er verhedderte sich in seinen Worten, und Richard konnte ihm ansehen, wie er resignierte. Schließlich zuckte der Mönch die Achseln und meinte: »Prior Claudius wollte, dass niemand außerhalb des Klosters von diesen Toten erfährt. Er wird wütend sein, wenn er hört, dass ich Euch in meiner Gedankenlosigkeit in die Kapelle geführt ...«
»Schon gut.« Richard hob die Hand. »Er muss es ja nicht erfahren. Aber nun sprecht: Wer sind diese Toten?«
Und da erzählte Bruder Johannes es ihm. Mit atemloser Stimme sprach er von der Ankunft der vier Inquisitoren und davon, wie drei von ihnen in ihrer ersten Nacht im Gästehaus des Klosters durch den Vierten ermordet worden waren. Es schien, als sei er erleichtert, sich dieses Wissen darum von der Seele reden zu können.
In Richard jedoch schufen die Worte ein eisiges Gefühl von Entsetzen. »Inquisitoren«, wiederholte er, nachdem der Mönch geendet hatte. Sein Kopf schien wie leergefegt. »Wisst Ihr, warum sie hier waren?«
Der Mönch nickte. »Wegen einer Disputation über das Hexenwesen.«
Seine Worte entlockten Katharina einen leisen Ausruf des Erschreckens, doch Richard achtete kaum darauf.
»Darüber hinaus gibt es Gerüchte, dass sie außerdem wegen einer medizinischen Streitfrage hier sind«, fuhr
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