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Seraphim

Seraphim

Titel: Seraphim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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sie ließ diese junge Frau verletzlich aussehen. »Er soll mit einem Messer ...« Ihre Stimme brach.
    Richard wartete, dass sie weitersprach, aber sie schwieg. Eine Bettlerin kam um eine Hausecke geschlurft und wankte dicht an ihnen vorbei. Penetranter Branntweingeruch ging von ihr aus, und sie lallte mit schwerer Stimme immer wieder nur eine einzige Zeile eines Liedes: »... bleib bei mir, mein Engel, denn es will Nacht werden ...«
    Die junge Frau schaute ihr nach, bis sie um eine Hausecke verschwunden war. Dann richtete sie den Blick wieder auf Richard. »Ich weiß nicht viel.«
    Richard zuckte die Achseln. »Offenbar mehr als ich.«
    »Es ist so ...« Sie suchte nach Worten. »... unvorstellbar!« Sie schauderte sichtbar und verstärkte damit Richards schlechtes Gewissen.
    »Was ist unvorstellbar?«, fragte er vorsichtig.
    Die junge Frau erstarrte. Für einen kurzen Moment sah sie aus, als wollte sie ihn anfahren. Doch dann schien sie es sich anders zu überlegen. »Die ... Leiche – sie wurde geschändet.«
    Das kurze Zögern vor dem Wort Leiche entging Richard nicht. Er spürte den Blick der jungen Frau auf sich ruhen.
    »Wusstet Ihr das nicht?«, fragte sie.
    Wenn ihre Augen nur nicht so leblos gewesen wären, dachte er. »Ich ... nein. Bisher hat man meinem Auftraggeber noch keinen Bericht erstattet.« Er riss sich zusammen. »Das wusste ich wirklich nicht.«
    Sie nickte und machte Anstalten, sich an ihm vorbeizudrängen. »Ich muss ...«
    Erneut griff er nach ihrem Arm. Diesmal zuckte sie nicht zusammen.
    »Wartet«, bat er ein zweites Mal. »Die Leiche – wisst Ihr, wo man sie hingebracht hat?«
    In ihren Zügen erschien ein Ausdruck von großem Entsetzen. Feine Fältchen gruben sich in die zarte Haut um ihren Mund. »Wozu wollt Ihr das wissen?«
    Er suchte nach Worten. Warum nur ließ sie ihn wie einen Idioten stammeln? Hilflos lächelte er, und zu seinem Erstaunen senkte sie den Kopf.
    »Kommt mit«, sagte sie nur.
    Vom Rathaus aus waren es nur wenige Schritte. Katharina führte den Fremden die Burgstraße hinauf und zum Eingang des Predigerklosters, das sich hinter einer hohen, weiß getünchten Mauer befand. Die ganze Zeit über fragte sie sich, warum sie das tat. Sie kannte diesen Mann gar nicht, wusste nichts über ihn. Sie warf dem Fremden einen Seitenblick zu. Irgendwie hatte er sie angerührt. Seine dunklen Augen trugen einen Schmerz in sich, dessen Ursache sie zwar nicht kannte, der ihr aber seltsam vertraut vorkam.
    Das Tor zum Kloster war weit geöffnet. Auf der Straße standen Menschen in Gruppen beieinander. Sie hatten die Köpfe tuschelnd zusammengesteckt und zeigten dabei immer wieder auf die Klostereinfahrt. Einzelne Gesprächsfetzen drangen bis zu Katharina durch. »... auf dem Karren haben sie ihn hergebracht ...«
    »Ja, und als sie ihn abgeladen haben, hat sich die Sonne verfinstert!«
    Ihr Magen begann zu schmerzen, und sie begrüßte den Schmerz,denn er vertrieb wenigstens einen Teil der melancholia . Fast freute sie sich jetzt auf den Anblick von Matthias’ Leiche. Es war eine selbstquälerische, unheilige Freude.
    Der Fremde an ihrer Seite folgte ihr durch das Tor in den Hof des Klosters. Bauern waren damit beschäftigt, einen Karren voller großer Körbe zu entladen. In der Luft lag der herbe Geruch von reifem Hopfen und kitzelte Katharina in der Nase. Sie wusste, dass die Mönche einen Teil ihres Unterhaltes damit verdienten, dass sie ein dunkles Bier brauten und auf dem Hauptmarkt verkauften.
    Der Fremde blieb mitten auf dem Hof stehen und sah sich um. Bevor sie zu einem Entschluss kommen konnten, was sie nun tun sollten, kam ein Mönch aus der Kirche, entdeckte sie und trat auf sie zu. Seine Augen verrieten große Unruhe. Er wedelte mit beiden Armen durch die Luft, verteilte ein paar Anweisungen an die Bauern und richtete das Wort dann an den Fremden an Katharinas Seite.
    »Ich bin Bruder Johannes. Wie kann ich Euch helfen, Herr ...?«
    Katharina sah, wie der Fremde an ihrer Seite das Kinn nach vorne schob. »Mein Name ist Sterner. Ich bin im Auftrag von Ratsherr Pömer hier, um den Toten aus der Lochwasserleitung in Augenschein zu nehmen.«
    »Ich bin mir nicht sicher ...« Der Mönch leckte sich über die Oberlippe.
    »Bruder Johannes!« Eindringlich sah Sterner den Mönch an. »Muss ich erst meine Legitimierung vorzeigen – oder den Ratsherrn Pömer persönlich hierher schleifen, damit Ihr mir glaubt?«
    Der Mönch schüttelte hastig den Kopf. »Natürlich nicht! Es ist

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