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Seraphim

Seraphim

Titel: Seraphim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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Augen zu Hartmann zurückrannte.
    »Wir dürfen ...«
    Mit einer harschen Geste brachte Hartmann ihn zum Schweigen. »Du bist ein Narr, Johannes!« Ohne ein weiteres Wort nahm er seinen Bruder beim Arm und zog ihn in die Kapelle zurück. Er vergewisserte sich sorgfältig, dass sie allein waren, dann brachte er sein Gesicht ganz dicht an das von Johannes. »Wie konntest du nur diese Frau und Sterner zu dem Toten lassen?«
    Johannes machte sich aus seinem Griff los. »Er hatte eine Ber... er hat mich bedrängt, Hartmann, ich ... Wir müssen zu Prior Claudius gehen und ihm alles erzählen!«
    »Natürlich! Und alles aufgeben, was wir uns all die Jahre aufgebaut haben?«
    »Aber der Tote wurde als Engel ...«
    Erneut packte Hartmann ihn, und diesmal schüttelte er ihn. »Wir wissen nicht genug, Johannes!«, sagte er und machte eine Pause nach jedem einzelnen Wort.
    »Nicht genug?« Johannes’ Stimme schrillte. »Das sind Schwanenflügel, Hartmann!«
    »Reiß dich zusammen! Ich kümmere mich um die Sache, aber du darfst auf keinen Fall den Kopf verlieren! Hast du verstanden?«
    Johannes’ Herz raste, als sei er zu lange gerannt. Wenn er die Augen schloss, tanzten glühende Funken hinter seinen Lidern und erinnerten ihn daran, dass die Hölle auf ihn wartete. Eilig bekreuzigte er sich. »Aber der Teufel ...«
    Hartmann löste die Finger aus seinem Gewand und ließ die Arme sinken. »Kein Wort!«, zischte er. »Hörst du mich? Kein Wort!«
    Endlich nickte Johannes. Die Haut in seinem Gesicht fühlte sich heiß an, und er wusste, dass er rote Flecken auf den Wangen hatte.
    »Bete meinetwegen. Bade in Weihwasser, oder tu, was auch immer du tun musst, um die Dämonen, die dich jagen, in Schach zu halten. Ich kümmere mich um alles andere. Schaffst du es, einen kühlen Kopf zu bewahren?«
    Wieder nickte Johannes. Zögerlich.
    Hartmann ließ ihn los. »Gut. Ich muss jetzt gehen. Wir meistern das, glaub mir!« Mit diesen Worten verließ er die Kapelle, und Johannes blieb allein zurück.
    Eine Weile lang stand er inmitten des von buntem Licht durchfluteten Raumes. Seine Schultern sanken nach vorn; er hatte das Bedürfnis, sich in einer Ecke zu verkriechen. Doch er hob den Kopf, und sein Blick fiel auf den Engel des Glasfensters.
    Einen Arm über den Kopf gelegt, als könne die strafende Hand Gottes auf ihn niederfahren, eilte er aus der Kapelle, hastete quer durch das halbe Kloster, bis er den hinteren Kreuzgang erreichte. Die Hitze des Sommers hing hier schwer und staubig in der Luft.
    Tu, was auch immer du tun musst, um die Dämonen, die dich jagen, in Schach zu halten , hatte Hartmann zu ihm gesagt. Das Beste, was ihm einfiel, war, die Beichte abzulegen, aber genau davor scheute er zurück. Prior Claudius hatte ihm deutlich zu verstehen gegeben, dass er es nicht schätzte, wenn die Mönche über die Mordfälle unter den Inquisitoren redeten. Er würde es noch weniger schätzen, wenn herauskäme, dass einer seiner Mönche, sein Bruder Infirmarius, auch noch mit dem Toten in der Lochwasserleitung zu tun hatte. Und im Kloster war es immer noch üblich, dass die Mönche ihre Beichten öffentlich ablegten.
    Nein, zu beichten kam auf keinen Fall in Frage.
    Es sei denn ...
    Johannes kam eine Idee. Er warf einen letzten Blick auf den gläsernen Engel, dann verließ er die Kirche, um noch einmal die Erlaubnis zum Verlassen des Klosters zu erbitten. Er hatte Glück: Prior Claudius war nicht da, und der Bruder, dem er die Aufsichtübertragen hatte, war jener, dem Johannes die Apfelbaumsplitter aus der Schulter entfernt hatte. Er wagte es nicht, dem Infirmarius den Ausgang zu verweigern.
    Eine halbe Stunde später stand Johannes im Mittelschiff von St. Sebald und sah sich unschlüssig um. Ein missmutiger Mann, der Mesner der Kirche, war damit beschäftigt, den Johannesaltar mit einem goldgewirkten Altartuch zu schmücken. Auf einer Bank ganz in der Nähe des Altars hatte er frische Kerzen und einen Strauß Wiesenblumen abgelegt, die ebenfalls dem Schmuck des Altares dienen würden.
    Johannes ließ seinen Blick einen Moment lang auf der Tonfigur des Apostels ruhen, die man seitlich auf dem Altar platziert hatte und die mit ihrem erhobenen Weinkelch in seinen Augen eher einem betrunkenen Zecher ähnelte als dem Lieblingsjünger des Herrn.
    »Kann ich Euch helfen?« Der Mesner hatte ihn bemerkt und kam auf ihn zu. Während er die Kerzen von der Bank nahm, sah er Johannes fragend an.
    »Bereitet Ihr die Messe für Carl Scheurich vor?«,

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