Seraphim
väterlich umfangen hätte, wäre sie doch noch geflohen. So aber ließ sie sich zu dem Beichtstuhl führen.
»Bitte schön!« Der Priester schob den Vorhang auf der einen Seite auf und drängte Katharina förmlich in die enge, stickige Kabine.
Das Geräusch der zugleitenden Vorhangringe klang wie ein Reißen.
Nur wenige Momente später hörte Katharina das leise Schnaufen, mit dem der Priester sich im anderen Teil des Beichtstuhles niederließ. Dann öffnete sich die Klappe zwischen den beiden Kabinen, und Katharina konnte durch ein feingeschnitztes Gitter hindurch undeutlich das Gesicht des Mannes erkennen.
»Benedic mihi, pater, quia peccavi« , murmelte sie und kniete nieder.
»Deo Patris sit gloria« , sagte der Priester, und Katharina erwiderte: »In saeculorum saecula. Amen.« Ihr Gesicht war sehr dicht an dem Gitter, und sie konnte den Atem des Priesters riechen. Er hatte Zwiebeln gegessen.
»Et coeperunt, qui simul accumbebant, dicere intra se: Quis est hic, qui etiam peccata dimitti?« Die Stimme des Mannes klang gedämpft. »Warum bist du zu mir gekommen, meine Tochter?«, wechselte er dann ins Deutsche.
»Ich habe gesündigt. Meine letzte Beichte liegt viele Monate zurück.« Katharina biss sich auf die Lippen. Bereits mit diesem Satz hatte sie sich einer weiteren Sünde schuldig gemacht, denn sie hatte gelogen. Es war nicht Monate her, dass sie gebeichtet hatte, sondern Jahre. Das letzte Mal war sie vor Egberts Verschwinden beichten gewesen.
»Das ist nicht gut. Als du eben vor mich tratest, konnte ich sehen, dass dich die Last deiner Sünden schwer drückt.«
Katharina grub die Zähne in ihre Unterlippe. Sie war kurz davor, dem Priester zu erzählen, dass sie auch früher niemals Erleichterung in dem Ritual der Beichte gefunden hatte. Gegen die melancholia half es nicht, das hatte sie vor langer Zeit bereits herausgefunden.
Der Priester seufzte. »Aber das lässt sich ändern, Kind. Wenn du mir alles erzählst, was dich bedrückt, werde ich bei Gott für dich beten, dass er dir die Last abnimmt.«
»Ich bin mir nicht sicher, ob er das tun wird.«
»Er vergibt jedem, der mit der gebotenen Reue vor ihn tritt, meine Tochter. Sogar dem niederträchtigsten Mörder.« Er hielt kurz inne und holte Luft. »Du hast doch nicht ...«
»Nein, nein!« Sie holte so tief Luft, wie sie konnte. »Aber mein Bruder wurde ermordet.«
Eine Weile hörte sie nur den Atem des Priesters und das Rascheln seiner Gewänder, als er sich auf seinem Sitz hin und her bewegte. »Es tut mir leid, das zu hören, meine Tochter. War er ein guter Mensch?«
Katharina schwieg einen Moment. »Was meint Ihr damit, Pater?«
»Ging er regelmäßig zur Messe?«
»Ich denke schon.« Bereits jetzt, nach diesen wenigen Sätzen, begann sie Unmut zu verspüren.
»Dann wird er jetzt bei Gott sein. Du solltest nicht zu sehr um ihn trauern, denn irgendwann wirst du ihn wiedersehen.«
Dessen war sie sich eben nicht so sicher. »Was aber, wenn ich selbst in die Hölle komme?«
»Wiegen deine Sünden denn so schwer?«
»Ich weiß es nicht, Pater.«
»Nun. Dann bekenne sie mir jetzt. Alle.«
Katharina begann damit, dass sie soeben den Wunsch verspürt hatte, ihren eigenen Körper zu misshandeln. Dann erzählte sie ihm von den bösen Gefühlen, die sie ihrer Mutter gegenüber hegte.
»Was für böse Gefühle sind das genau?«, hakte der Priester nach.
»Ich bin mir nicht ganz sicher. Ich habe bis vor ein paar Tagen gedacht, dass ich sie hasse, aber das stimmt nicht. Sie ... sie hat etwas getan, das ich zutiefst verabscheue, und es fällt mir schwer, ihr gegenüberzutreten, ohne Verachtung für sie zu empfinden.« Katharina überlegte einen Moment. »Ja, ich glaube, Verachtung ist das richtige Wort.« Und Mitleid , fügte sie in Gedanken hinzu. Ein tiefes, nagendes Mitleid, das um so schlimmer war, als sie sich dadurch über Mechthild erhob. »Der Sünde des Hochmuts habe ich mich ebenso schuldig gemacht.«
»Wie das?«
Sie versuchte, das, was sie soeben noch gedacht hatte, in Worte zu fassen, aber es gelang ihr nicht. In ihren Gedanken war es ihr klar und deutlich, aber sobald sie es aussprechen sollte, wurde alles vage und undeutlich. Sie seufzte. »Ich kann es nicht besser ausdrücken«, murmelte sie.
»Das macht nichts. Gott kennt deine Gedanken. Da ist noch mehr, oder?«
Katharina verschränkte die Hände ineinander und presste mit solcher Kraft, dass ihre Fingerknöchel knackten. Sie überlegte, ob sie dem Priester von ihrer
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