Seraphim
heilige Kirche: Fahrt zur ...« Sie konnte es nicht zu Ende bringen. Ihre Stimme brach. Sie warf sich herum, rannte aus der Kirche und dann quer durch die Nordstadt und über den Drudensteg.
Der Weg durch die Lorenzer Stadt bis zu ihrem Haus zog sich unter ihren Füßen schier endlos hin. Als sie endlich die Druckerei von Bernhard Walther erreicht hatte, fühlte sie sich so leer und matt, als bestünde sie nur noch aus einer dünnen papiernen Hülle.
Es war ihr egal, was mit ihr geschehen würde, wenn man sie zu Hause antraf. Es war ihr egal, ob sie ins Loch gesteckt werden würde, so lange, bis sie Gelegenheit bekam, ihre Unschuld zu beweisen.
Unschuld!
Ein verzweifeltes Gelächter stieg in ihrer Kehle auf, und sie ließ es heraus. Es klang wie ein Schrei. Mit der Faust schlug sie sich gegen die Stirn, aber natürlich nützte es nichts. Die Spinnweben ließen sich nicht aus ihrem Kopf vertreiben.
Sie musste an ihren Traum denken. Den Traum, den sie in Bertrams Wohnung geträumt hatte und der nichts anderes gewesen war als die Erinnerung an ihre Kindheit. Sie erinnerte sich noch gut daran, wie sie Gott um Vergebung angefleht hatte.
Vergib mir, Herr! Ich weiß zwar nicht, was ich getan habe, dass du mich so strafst, aber bitte vergib mir!
Nein, sie war alles andere als unschuldig. Warum sonst sollte Gott sie mit dieser fürchterlichen Krankheit strafen?
»Frau Jacob!« Der Ruf des Druckers ließ sie innehalten. Sie fühlte sich wie eine dieser seltsamen mechanischen Figuren, von denen ihr Egbert einmal erzählt hatte. Diese Figuren bewegten so lange ihreArme und Beine, bis die Mechanik, mit deren Hilfe sie angetrieben wurden, abgelaufen war. Dann blieben sie einfach stehen und waren nichts weiter als ganz gewöhnliche Statuen.
Katharina war kurz davor, ebenfalls zu erstarren. Wenn sie jetzt stehenblieb, würde sie niemals im Leben wieder in Gang kommen können, also tat sie so, als habe sie den Ruf des Druckers nicht gehört. Auch den stummen Gruß eines Mannes, der seinen federgeschmückten Hut tief ins Gesicht gezogen hatte, ignorierte sie.
Sie ging auf ihr Haus zu, und als sie es beinahe erreicht hatte, prallte sie wie gegen ein unsichtbares Hindernis.
Aus einer Gasse zwischen den gegenüberliegenden Häusern traten zwei Stadtbüttel direkt auf sie zu.
Katharina wich zwei Schritte zurück. Kurz gaukelte ihr ihr ermatteter Geist vor, die beiden Bewaffneten seien gar nicht auf der Suche nach ihr, sie seien nur zufällig hier. Doch dann richteten die beiden Männer ihre Blicke direkt auf sie. Katharina erkannte sie an den schiefen Zähnen des einen und den strubbeligen Haaren des anderen, und jetzt war völlig klar, dass sie sie suchten.
»Frau Jacob?«, fragte der Strubbelige.
Das war der Augenblick, in dem Katharina sich herumwarf und losrannte.
»Haltet sie!«
Der Ruf gellte hinter ihr her, und es war ihr Glück, dass die Kartäusergasse in diesem Moment vollständig leer war. Niemand trat ihr in den Weg, und so gelang es ihr, um zwei Hausecken zu jagen und die Büttel für einen kurzen Moment abzuhängen.
Hastig sah sie sich um.
Welche Möglichkeiten hatte sie, ihnen zu entkommen? Ihr blieb nicht viel Zeit, schon hörte sie hinter sich Stiefeltritte, die vom Pflaster widerhallten. Sie bog nach rechts ab, so dass sie jetzt parallel zur Stadtmauer in Richtung Spittlertor lief. Unbehelligt überquerte sie einen kleinen Platz, auf dem ein Viehmarkt stattfand. Die Menschen starrten ihr wütend nach, eine alte Bauersfrau schickte ihr ein paar Drohungen hinterher, weil sie ihren Käfig mit Gänsen umgeworfen hatte.
»Da ist sie lang!«, hörte Katharina die Stimme der Bäuerin, und wieder näherten sich die Schritte der Büttel.
Inzwischen hatte sie die Stadtmauer erreicht. Die rot-weißen Streifen des hölzernen Wehrgangs flogen an ihr vorbei. Sie wusste, dass sie nur noch wenige Augenblicke hatte, bis ihre Verfolger heran waren oder bis die Bewaffneten auf der Mauer auf sie aufmerksam werden würden.
Ihre Lunge brannte von der ungewohnten Anstrengung des Laufens, und ihre Beine schmerzten so sehr, dass diese Empfindung alles andere überlagerte.
An der Einmündung zur Engelhardtgasse angekommen, stockte Katharinas Schritt.
»Wo ist das Weib?«, hörte sie einen ihrer Verfolger schreien, und sie überlegte nicht lange. In der Reihe der Häuser war ein Durchbruch, wo man vor nicht allzu langer Zeit zwei Gebäude abgerissen hatte. Die Gärten hinter den Häusern waren alt und zugewachsen.
Mit einem
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