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Seraphim

Seraphim

Titel: Seraphim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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Ihr zu Zeuner geht. Die Ereignisse scheinen Euch mitgenommen zu haben.« Pömer stemmte seine feiste Gestalt aus dem Sessel und kehrte an sein Pult zurück. Ohne Richard weiter zu beachten, betrachtete er mit zusammengezogenen Augenbrauen die ausgefranste Spitze seiner Feder und griff zum Federmesser. Das Geräusch, mit dem er ein Stück von dem alten Kielabschnitt, jagte Richard eine Gänsehaut über den Rücken. »Was ist der wahre Grund dafür, dass Ihr so erpicht auf Faros Folter seid?«, fragte er mit tonloser Stimme. »Euch geht es doch in Wahrheit nicht um Nürnberg!«
    Pömer hielt das Federmesser in die Höhe. »Wisst Ihr, welches Urteil der Rat über diesen Joachim Gunther sprechen wird?« Seine Stimme war heiser wie immer und völlig ruhig. »Der Wagner in der Langen Gasse hat vom Rat zwei Gulden erhalten, um ein besonders großes Rad herzustellen.«

10. Kapitel
    Der kürzeste Weg vom Lochgefängnis zu ihrem eigenen Haus führte über die Fleischbrücke, aber von dort aus hätte Katharina einen guten Blick auf die Insel Schüdt gehabt. Sie fühlte sich nicht stark genug, den Anblick der Schwäne zu ertragen, die dort vielleicht herumschwammen, also entschied sie sich dafür, über den ganz im Westen der Stadt liegenden Drudensteg zu gehen. Zwar befand sich dieser in Sichtweite von Bertrams Wohnung, aber das war ihr im Moment lieber als die Alternative.
    Um den Drudensteg zu erreichen, musste sie über den Kirchhof von St. Sebald gehen, und hier, zwischen den Grabsteinen und den Blumen, die in der Sommerhitze vor sich hinwelkten und nach Moder und Verwesung stanken, verließen sie ihre Kräfte. Sie blieb auf einem der schmalen Wege stehen und musste sich an einem Grabstein abstützen, um nicht zu fallen.
    »Was ist Euch?« Eine besorgte Stimme. Katharina spürte, wie sie von einer kalten Hand am Arm berührt wurde, und das faltige, freundliche Gesicht einer alten Frau schwebte vor ihr wie ein Trugbild. »Ist Euch schlecht geworden? Das ist die Hitze! Kommt, ich bringe Euch in die Kirche, da drinnen ist es kühler.« Kurzerhand wurde Katharina gepackt und mitgezerrt.
    Die Kirchentüren öffneten sich vor ihr und schlossen sich wieder, als sie sie durchquert hatte. Kühle, weihrauchgeschwängerte Luft umfing sie, dann wurde sie in eine der Bänke gedrückt.
    Die alte Frau hockte sich neben sie. Ein ums andere Mal streichelte sie Katharinas Handrücken und redete dabei ohne Unterlass auf sie ein. In Katharinas Ohren klangen ihre Worte wie das sinnlose Schnattern einer Gans. Mit einer abwehrenden Geste entzog sie sich der Alten.
    »Es geht wieder besser«, sagte sie, um Freundlichkeit bemüht, diesie nicht empfand. »Ich danke Euch für Eure Hilfe, aber sie ist jetzt nicht länger nötig.«
    Die Alte stand auf. Ihr schwarzes Kleid raschelte dabei. »Seid Ihr wirklich sicher?«
    Katharina nickte nur.
    Da neigte die Alte den Kopf und schlurfte durch das Kirchenportal davon, durch das sie St. Sebald betreten hatten.
    Katharina blieb, wo sie war.
    Ein hagerer Priester mit tiefliegenden Augen war damit beschäftigt, die nach der Heiligen Messe übriggebliebenen Hostien in ein goldenes Tabernakel zu legen. Katharinas Blick fiel auf einen großen schrankartigen Kasten mit einem dunkelroten Vorhang an der Vorderseite, der zwischen zwei Nebenaltären in einem der Seitenschiffe stand. Anders als in den meisten anderen Kirchen Nürnbergs, in denen es üblich war, die Beichte an der Altarschranke abzunehmen, besaß St. Sebald einen dieser neuartigen Beichtstühle, in denen man niederknien konnte und den Priester bei der Bekennung seiner Sünden nicht anschauen musste. Katharina überlegte kurz, dann fasste sie einen Entschluss. Sie ging zu dem Priester mit dem Tabernakel und räusperte sich hinter seinem Rücken. Er drehte sich zu ihr um.
    Aus der Nähe wirkte er verkniffen und missgünstig. Seine Lippen waren schmal und von einem ungesunden Blauton.
    »Was kann ich für dich tun, mein Kind?«, fragte er mit einer überraschend tiefen Stimme. Das Tabernakel hielt er vor sich wie einen Schutzschild.
    Kurz überlegte Katharina, wieder zu gehen, doch auf einmal sank die Last ihres gesamten Lebens mit solchem Gewicht auf ihre Schultern nieder, dass sie sich krümmte. »Würdet Ihr mir die Beichte abnehmen?«, bat sie mit flüsternder Stimme.
    »Natürlich!« Ein Lächeln glitt über die Züge des Mannes. Auf Katharina wirkte es selbstgerecht, und wenn der Mann nicht in diesem Moment den Arm ausgestreckt und sie damit

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