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Seraphim

Seraphim

Titel: Seraphim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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angezündet.
    »Sterner!« Der Getreidehändler sah auf. Offenbar hatte er kurz zuvor etwas geschrieben, denn seine Finger waren tintenfleckig.
    Schwarzes Fleisch ... Richard vertrieb die unangenehmen Erinnerungen, die ihm dabei durch den Kopf schossen, und ballte die Hände zu Fäusten, um ihr Zittern zu unterdrücken.
    Pömer wartete, bis Thomas, der Diener, die Tür hinter sich geschlossen hatte und sie allein waren. »Seht her, er funktioniert endlich!« Er klopfte dem Hahn auf den Rücken, und es gab ein hohles Geräusch. Die Federn des Tieres waren einzeln aus dünnem Metallblech hergestellt und kunstvoll an den Flügeln befestigt worden. Schnabel und Beine hatte man mit Blattgold verziert, und die Augen waren aus rotem Glas, das dem Vogel ein tückisches Aussehen verlieh.
    Pömer griff nach einem Schlüssel, der fast so lang war wie seine gesamte Hand. Er steckte ihn in ein Loch am Rücken des Hahnes und drehte ihn ein paar Mal, wobei es im Inneren rhythmischknackte und knirschte. Dann zog er den Schlüssel wieder heraus und schaute Richard triumphierend an.
    Der Hahn jedoch blieb stumm. Nur ein leises Klickern in seinem Inneren verriet, dass die Mechanik in Gang gesetzt worden war.
    »Mir scheint, er ist immer noch ...« Ein metallischer Ton, wie von einem kleinen Gong, unterbrach Richard.
    »Wartet es doch ab!«, befahl Pömer. Seine Augen glänzten, während er dem Hahn den Kopf tätschelte, als sei es ein lebendiges Tier. Zum zweiten Mal gongte es, und jetzt legte Pömer den Kopf schief, wie ein Hund, der auf den Befehl seines Herrn wartete.
    Ein dritter Gong erklang.
    Und dann, so unvermittelt, dass Richard zusammenzuckte, gab der Apparat ein langes durchdringendes und krächzendes Krähen von sich. Seine Flügel schlugen dabei, und der Kopf senkte sich zum Boden, als wolle das künstliche Tier nach Körnern picken. Dann verhallte das Krähen, im Inneren der Mechanik klickte es noch zwei-, dreimal, dann verstummte auch dieses Geräusch.
    Pömer klatschte in die Hände. »Was sagt Ihr?«
    »Erstaunlich.« Es fiel Richard schwer, Begeisterung zu heucheln, denn seine Gedanken kreisten um Katharina. Der Schmerz, den sie um ihren toten Bruder empfinden musste, machte sie in seinen Augen noch attraktiver, als sie ihm beim ersten Anblick bereits erschienen war.
    Wenn der Getreidehändler mehr Begeisterung von ihm erwartet hatte, so zeigte er jedoch keinerlei Enttäuschung, sondern nickte nur eifrig. »Das ist ja der Sinn der Sache! Erinnert Ihr Euch, dass ich Euch sagte, dass mein Mittagsschlaf neuerdings immer länger wird? Ich arbeite einfach zu viel, fürchte ich. Aber damit wird bald Schluss sein, mit dem langen Schlafen, meine ich. Dieser kleine Kerl hier«, wieder tätschelte er den Kopf des Hahnes, »wird mich in Zukunft wecken. Ich habe schon eine Möglichkeit im Kopf, wie man die Mechanik mit einer dieser neuen Uhren verbinden kann, so dass er zu gegebener Zeit krähen wird. Ist das nicht großartig?«
    Richard schoss die Frage durch den Kopf, warum Pömer nicht Thomas den Auftrag gab, ihn nach einer halben Stunde Schlaf zu wecken, aber er verkniff es sich, sie zu stellen. Stattdessen bekundeteer seine Begeisterung. »Aber darum bin ich eigentlich nicht hier«, erinnerte er Pömer dann.
    »Stimmt.« Pömer warf einen letzten Blick auf seinen Hahn und wandte sich seufzend davon ab. »Also? Was habt Ihr zu berichten?«
    »Ich war bei Zeuner und auch im Lochgefängnis und im Predigerkloster, wo sie die Leiche aufbewahren.«
    Pömer stand auf und kam auf ihn zu. Seinen mächtigen Bauch schob er dabei vor sich her wie ein Fass. »Ihr seid ein wenig blass um die Nase, mein Lieber! Hat Euch das alles so sehr mitgenommen?«
    Richard nickte. Er lehnte sich mit verschränkten Armen gegen die Wand, dicht bei einem schweren blauen Samtvorhang, der eine Nische verdeckte.
    Pömer ging zu einem Schrank, öffnete ihn und entnahm ihm ein silbernes Tablett mit kleinen bunten Gläsern und einer halb gefüllten Karaffe. Er goss etwas von der goldenen Flüssigkeit aus der Karaffe in eines der Gläser und reichte es Richard. »Trinkt, dann wird es Euch wieder warm ums Herz.«
    Richard starrte in den Becher. »Was ist das?«
    »Eine besondere Art von Branntwein. Ich habe ihn von einem Freund, der ihn aus London importiert. Er erzählte mir, dass man dieses Getränk im Norden Britanniens braut.«
    Pömer hatte nicht übertrieben. Die Flüssigkeit rann heiß wie Feuer in Richards Kehle hinab und strahlte von seinem Magen Wärme

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