Seraphim
Tätigkeit als Heilerin erzählen sollte, aber dann verwarf sie diesen Gedanken. Durch ihre Arbeit verstieß sie gegen ein menschliches Gesetz, aber nicht gegen ein göttliches Gebot. Gott hatte ihr diese Gabe geschenkt, und alles, was sie tat, war, sie zum Wohle ihrer Mitmenschen zu nutzen. Das konnte keine Sünde sein, da war sie sich ganz sicher.
»Nun?«, forderte der Priester sie auf. Sie versuchte, aus dem einen Wort herauszuhören, ob er ungeduldig wurde, aber es gelang ihr nicht.
»Ich leide seit meiner Kindheit an einer Krankheit ...«
»Krankheiten sind eine Strafe Gottes für frühere Vergehen«, unterbrach der Priester sie.
Katharina presste die Lippen zusammen. »Ich weiß. Nur, dass ich nicht herausfinden kann, wofür Gott mich straft.«
»Was ist das für eine Krankheit?«
»Die heilige Hildegard nennt sie melancholia , und sie führt sie direkt auf den Sündenfall Adams zurück.«
»So. Die heilige Hildegard. Du kennst ihre Schriften?«
»Ein wenig.« Katharina versuchte, das Gewicht von einem Bein auf das andere zu verlagern. Das Knien auf dem harten Holz schmerzte sie. »Kann es wirklich sein, Pater, dass Gott mich so schwer dafür straft, dass Adam damals ...«
»... nun, ich würde denken, er straft dich eher dafür, dass Eva Adam zum Ungehorsam verführt hat. Du bist eine Frau, vergiss das nicht. Ebenso wie Hildegard. Natürlich ist sie eine Heilige, aber sie ist immer noch nur eine Frau. Du solltest dem, was sie schreibt, nicht allzu viel Bedeutung beimessen.«
»Glaubt Ihr, dass sie sich irrt?«
Der Priester schnaubte. »Ich kenne ihre Schriften nicht. Sie sind belanglos für mich. Aber ja, ich würde denken, dass sie sich irrt, wenn sie behauptet, dass dein ... wie nanntest du deine Krankheit ... melancholia ? Nun, ich denke, dass sie sich irrt. Deine melancholia hängt meiner Meinung nach mit deinen ganz eigenen Sünden zusammen.«
»Ich bin mir aber keiner so schlimmen Sünde bewusst, Pater!«
Jetzt wurde es für einen Augenblick sehr still im anderen Teil des Beichtstuhls. Katharina versuchte durch das Gitter hindurch zu erkennen, welch Gesicht der Priester machte. Die Löcher waren zu klein dafür. Alles, was sie sah, war ein Schemen, blasse Haut, mehr nicht.
»Da hast du doch deine Sünde!«, sagte der Mann schließlich. In seiner Stimme schwang jetzt ein scharfer Unterton mit, der vorher nicht dagewesen war. »Du hältst dich für sündenfrei! Darum straft Gott dich!«
»Nein, das tue ich nicht!« Katharina stemmte beide Hände rechts und links neben das Fensterchen.
Plötzlich war das Gesicht des Priesters ganz dicht am Gitter. Der Blick eines einzelnen Auges richtete sich auf Katharina. »O doch!«, zischte der Mann. »Das tust du! Du bereust nicht stark genug. Solange du das nicht tust, wird Gott diese Krankheit nicht von dir nehmen!«
Die Worte trieben Katharina auf die Beine. »Ihr irrt Euch«, flüsterte sie. Ihre Kehle schmerzte plötzlich, und sie hätte am liebsten geweint.
»Lass uns später darüber weiterreden. Was hast du noch zu beichten?«
»Nichts weiter. Das war alles.« Sie musste diese Worte hervorpressen.
»Nun, in diesem Fall ...« Das Gewand des Priesters raschelte, und daran erkannte sie, dass er sich ebenfalls erhoben hatte. »... fürchte ich, kann ich dir die Absolution nicht erteilen.«
Katharina glaubte ihren Ohren nicht zu trauen.
»Die Kirche verbietet es mir sogar«, sprach der Priester weiter. »Wenn ich Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Reue eines Sünders habe, darf ich ihn von den Sünden nicht lossprechen. Und in deinem Fall ...«
Katharina krallte eine Hand in den Vorhang des Beichtstuhles. Sie wusste nicht, welches ihrer Gefühle stärker war, die Wut über die Selbstgerechtigkeit dieses Kerls, die Enttäuschung über seine Ignoranz oder aber die Verzweiflung darüber, dass sie wieder keine Erleichterung erfahren würde. Mit einem heftigen Ruck riss sie den Vorhang auf.
»In diesem Fall ...«, sagte sie, doch die Stimme versagte ihr.
Sie stürzte aus dem Beichtstuhl. Eine Frau saß regungslos in ihrer Kirchenbank und schaute auch jetzt nicht auf.
Der Priester verließ den Beichtstuhl ebenfalls. Mit in die Hüften gestützten Händen und schmalen Lippen baute er sich vor Katharina auf. »Es ist jedoch meine Pflicht, dir ins Gewissen zu reden, Weib! Du solltest in dich gehen, damit du begreifst ...«
Katharina hob eine Hand und brachte ihn damit zum Schweigen. »Wisst Ihr was?«, fragte sie. Sie flüsterte. »Ihr und Eure
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