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Serenade für Nadja

Serenade für Nadja

Titel: Serenade für Nadja Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zülfü Livanelli
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krank oder im Gefängnis sein, oder einfach ohne Arbeit, ohne Beruf, ohne alles. Wenn nicht der Vater seine Frau und seine Kinder ganz einfach sitzengelassen hatte, so wie das bei mir der Fall war. Die mürrisch dreinblickenden Jungen waren so alt wie Kerem, aber nicht aus dem gleichen Grund unglücklich wie er. Aus manchen Werkstätten tönten schwermütige Arabesk-Lieder.
    Als wir bei der fraglichen Werkstatt ankamen, sah ich unseren Mercedes schon auf einer Hebebühne, aber niemand machte sich daran zu schaffen, und auch Süleyman war nicht zu sehen. Aus einem verglasten Büro im oberen Stockwerk kam ein Mann im Overall herunter, Meister Rıza, wie sich herausstellte.
    Es war ein väterlich wirkender Mann mit einem kräftigen Schnurrbart. Ich stellte mich vor, mit Visitenkarte, um Eindruck zu schinden, und erklärte mein Anliegen. Meister Rıza zeigte sich sehr entgegenkommend und bot mir, wie es üblich war, gleich einen Tee an, den ich aber dankend ablehnte.
    Während der Mercedes langsam heruntergelassen wurde, fiel mir ein, was ich ein paar Tage zuvor gelesen hatte, nämlich dass der frühere Vorstandsvorsitzende von Daimler-Benz, Edzard Reuter, in Ankara aufgewachsen war und fließend Türkisch sprach.
    Als der Wagen ganz unten war, öffnete Meister Rıza die Fahrertür, und ich suchte die Vorder- und Rücksitze ab, aber keine Geige. Danach ließ ich den Kofferraum öffnen, der bis auf ein Lumpenbündel leer war.
    Sollte Süleyman doch die Wahrheit gesagt haben? War die Geige am Strand liegengeblieben? Oder im Black Sea Motel ? Nein, das konnte nicht sein, denn als wir den Professor dort hineinschleiften, hatten wir bestimmt keine Hand für eine Geige frei.
    Ich fragte die Lehrlinge: »Hat Süleyman aus dem Auto etwas herausgenommen?«
    Sie wussten von nichts.
    Ich bedankte mich bei Meister Rıza, doch als ich schon wieder ins Auto einsteigen wollte, kehrte ich noch einmal um.
    »Dürfte ich kurz noch mal in den Kofferraum sehen?«
    »Aber bitte.«
    Quietschend ging der Kofferraumdeckel auf. Ich beugte mich zu dem Lumpenbündel, tastete es ab, und sofort war mir alles klar. Als ich die Lumpen fortzog, kam die Geige zum Vorschein. Sie war gewickelt worden wie ein Baby.
    »Ihr habt das alle gesehen, ja?«, sagte ich.
    Alle nickten.
    »Und du, İlyas, hast auch gesehen, was Süleyman sich da geleistet hat?«
    »Ja.«
    Daraufhin verabschiedete ich mich von Meister Rıza, der noch immer seinen Tee loswerden wollte, und wir fuhren weiter.
    Nicht nur war die Geige wiedergefunden, sondern ich hatte auch gegenüber Süleyman einen Trumpf in der Hand. Jetzt musste er sich zwei Mal überlegen, was er mir antun wollte.
    Wie ich vermutet hatte, war die Geige im Auto gelandet, und nur der Geigenkoffer war uns abhandengekommen. Er war wohl längst ins Schwarze Meer hinausgeschwemmt worden. Hauptsache, die Geige war da.
    »Könnten wir durch die Sıraselviler fahren?«, fragte ich İlyas.
    »Selbstverständlich«, sagte er, höflich wie immer.
    »Da sind meines Wissens ein paar Musikläden, dort kaufen wir einen Geigenkoffer.«
    An den Schnellimbissstuben am Taksim-Platz bogen wir in die belebte Sıraselviler-Straße ein. Es dunkelte schon, und die Laternen gingen an. Von den Moscheen her ertönte der Gebetsruf. Die Gehsteige waren voller lachender junger Leute, die Hamburger und Döner aßen. İlyas fuhr so nah wie möglich an einen der Musikläden heran.
    »Stehenbleiben kann ich hier leider nicht«, sagte er, »sonst blockiere ich die Straße. Könnten Sie vielleicht, wenn Sie fertig sind, zum Parkplatz des Deutschen Krankenhauses kommen?«
    Was für höfliche junge Männer es doch gab.
    Ich erwischte den Ladenbesitzer, als er gerade schließen wollte. Er drehte und wendete die Geige und sagte dann: »Das ist ein altes, wertvolles Stück. Deutsches Fabrikat. Wenn Sie die verkaufen möchten, könnte ich sie ein paar Liebhabern zeigen.«
    »Nein danke, ich brauche lediglich einen Koffer dafür.«
    »Ich habe aber nur ganz einfache Modelle. Falls Sie etwas wirklich Passendes suchen …«
    »Irgendeiner tut es schon.«
    Er legte mir drei Geigenkoffer vor, die alle ziemlich gleich aussahen, und ich nahm einfach irgendeinen davon und legte die Geige hinein. Dann ging ich bis vor zum Deutschen Krankenhaus, wo İlyas schon wartete.
    »Danke. Jetzt können wir zum Krankenhaus.«
    Als wir eintrafen, ging es schon auf sieben zu, und entsprechend vorwurfsvoll wurde ich von Filiz empfangen.
    Da ich ein paarmal kurz hintereinander

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