Serenade für Nadja
dagewesen war, hatte ich mich an das Krankenhaus und seine seltsamen Gerüche ein wenig gewöhnt.
»Na endlich! Dein Professor hat sich schon die Augen nach dir ausgesehen. Ständig fragt er uns, wo du bleibst.«
»Entschuldige, aber ich musste noch etwas besorgen für ihn. Tut mir leid, dass ich dich so lange aufgehalten habe.«
»Meinetwegen ist es egal, ich habe sowieso Bereitschaft.« Leiser fügte sie hinzu: »Aber den alten Knaben solltest du gut behandeln.«
»Wie meinst du das?«, fragte ich.
»Ich hab dir doch gesagt, dass wir einen umfassenden Check-up gemacht haben.«
»Ja, und?«
»Beim CT sind wir in seiner Bauchspeicheldrüse auf einen Tumor gestoßen. Darauf haben wir mit dem Mann gesprochen, um die Sache näher zu untersuchen. Aber das wollte er nicht.«
Resigniert rollte sie mit den Augen.
»Was heißt, das wollte er nicht? Mit so was scherzt man doch nicht.«
»Er hat gesagt, der Tumor sei in Boston schon untersucht worden, und er sei bösartig.«
»Bösartig?«
»Der Mann hat Krebs.«
»Nein! Und er weiß es also?«
»Ja, aber das scheint ihn nicht weiter zu kümmern. Er hat uns das alles lächelnd erzählt und uns in einem fort gedankt. Der hat Klasse, der Mann.«
»Und wie lang hat er noch zu leben?«
»Schwer zu sagen. Die Kollegen meinen, kaum mehr als ein halbes Jahr.«
»Dann wollte er sich also von Istanbul verabschieden?«
»Anscheinend. Aber jetzt lass ihn nicht länger warten. Falls er das Thema nicht selber anspricht, dann sag lieber nicht, dass du Bescheid weißt. Eigentlich hätte ich dir ja gar nichts sagen dürfen.«
»Keine Angst, ich halte den Mund.«
Gemeinsam gingen wir in das Krankenzimmer. Ich war ganz aufgewühlt. Bei unserem Anblick strahlte er.
»Und ich hatte schon gemeint, Sie kommen gar nicht wieder.«
Er trug wieder den schwarzen Anzug und eine Krawatte und hatte die Haare sorgfältig gekämmt. Unverschämt gut sah er aus, und man konnte sich nicht vorstellen, dass er bald schon nicht mehr sein würde.
Er verabschiedete sich von allen einzeln, und an die Krankenschwestern und Pfleger verteilte er dabei auch Trinkgeld. Als wir ins Auto einstiegen, sagte er schmunzelnd: »Aha, ein neuer Wagen. Und ein neuer Fahrer.«
»Der Mercedes ist in Reparatur. Und mit dem Fahrer sind wir besser dran als mit Süleyman. Herr Professor, heute ist Ihr letzter Abend. Möchten Sie gleich ins Hotel, oder würden Sie gern noch irgendetwas sehen?«
»Da wäre schon noch was. Aber nur, wenn es Ihnen nichts ausmacht. Den Sultanahmet-Platz würde ich gern ein letztes Mal sehen.«
Es gab mir einen Stich, als ich »ein letztes Mal« hörte. Ich gab. Ilyas Bescheid, und wir fuhren die Straßenbahnlinie entlang bis zu dem Platz.
Es war schon seltsam, zu dieser Tageszeit zwischen der Blauen Moschee und der Hagia Sophia zu stehen, die beide großartig angeleuchtet waren. Wie auf einer Reise in die Vergangenheit kam man sich vor. Der Professor blickte sinnend vor sich hin. Von einem Stand an der Hagia Sophia kaufte ich eine kleine Tüte mit heißen Maroni, die wir im Gehen aßen und uns damit den Mund verbrannten.
»Sie wissen ja«, sagte der Professor schließlich, »dass hier das berühmte byzantinische Hippodrom war.«
»Ja.«
»Der Vorgängerbau der Hagia Sophia wurde beim Nika-Aufstand niedergebrannt. Und wissen Sie, was das da früher für ein Gebäude war?«
»Ja, der Palast von İbrahim Paşa, dem Großwesir von Süleyman dem Prächtigen. Heute ist es ein Museum.«
»Wussten Sie auch, dass İbrahim Paşa auf dem Platz hier drei Statuen aufgestellt hat?«
»Nein«, erwiderte ich verwundert. »Es gibt doch im Islam das Bilderverbot.«
»Ja, schon, aber İbrahim Paşa hielt sich für so mächtig, dass er auf drei Säulen bronzene Statuen errichten ließ, von Diana, Herkules und Apollon. Die schwangeren Frauen Istanbuls kamen zur Statue Dianas und legten Gelübde ab, um Kinder zu bekommen, die genau so schön und so gesund wie die Göttin wären.«
»Und was ist mit den Statuen passiert?«
»Nachdem Süleyman der Prächtige İbrahim Paşa erdrosseln ließ, wurden die Statuen vom Volk niedergerissen. Es wurde behauptet, İbrahim Paşa sei ein Götzendiener gewesen. So geht es die ganze osmanische Geschichte über zu. Was der eine aufbaut, schlägt der andere wieder klein. Ein ständiger Kampf zwischen zwei Kräften. Waren Sie schon mal in Venedig?«
»Nein.«
»Das berühmteste und teuerste Hotel dort ist das Gritti Palace .«
Ich konnte mich zwar nur wundern,
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