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Serenade für Nadja

Serenade für Nadja

Titel: Serenade für Nadja Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zülfü Livanelli
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wie er von den Osmanen auf Venedig kam, sagte aber nichts.
    »Die Grittis waren eine der einflussreichsten Familien Venedigs«, fuhr der Professor fort. »Der spätere Doge Andrea Gritti war als junger Mann venezianischer Gesandter in Istanbul und hatte dort einen Sohn namens Alvise gezeugt, der in Istanbul geblieben war. Er und der spätere Großwesir İbrahim waren in ihrer Jugend eng mit dem Prinzen Süleyman befreundet. Die drei waren unzertrennlich. Zu Süleymans Unterhaltung spielte İbrahim Geige und Alvise Gitarre. Sie kennen doch Beyoğlu, nicht wahr?«
    »Natürlich. Dort fahren wir jetzt hin. Das ist das Viertel, in dem Ihr Hotel steht. Die Ausländer nennen es Pera, die Türken Beyoğlu.«
    »Und haben Sie sich schon mal überlegt, warum es Beyoğlu heißt, also Sohn des Bey?«
    »Nein.«
    »Weil Alvise Gritti dort ein stattliches Haus hatte und er der Sohn des Beys war, Andrea Grittis nämlich.«
    »Ach so! Aber eins verstehe ich nicht: Wenn İbrahim schon ein Jugendfreund Süleymans war, warum hat der Sultan ihn dann umbringen lassen?«
    »Aus einem ganz selbstverständlichen Grund: Weil er an der Macht war.«
    »Und Macht bedeutet immer, dass man tötet?«
    »Ja. Macht bedeutet Grausamkeit. Vor allem unkontrollierte Macht.«
    »Und was ist, wenn ein guter Mensch an die Macht kommt?«
    »So etwas geschieht nicht.«
    »Warum nicht?«
    Er lächelte bitter.
    »Gute Menschen kommen nun mal nicht an die Macht, und wenn doch, dann werden sie durch die Macht verdorben und zu bösen Menschen.«
    Ich musste schmunzeln.
    »Entschuldigen Sie, Herr Professor, aber Sie haben noch immer Ihren Hitler im Kopf. Es tötet doch nicht jede Macht. Wennjetzt, sagen wir mal, ich an die Macht käme, würde ich dann Ihrer Meinung nach auch töten?«
    Da fasste er mich an den Schultern und sah mir tief in die Augen.
    »Ja, sogar Sie würden töten. Anders ist Macht nämlich gar nicht denkbar. Früher hat sie vor aller Augen getötet, heute tut sie es versteckter.« Er nahm die Hände von meinen Schultern und sprach in sanfterem Ton weiter. »Sie würden mittelbar töten, würden den Tod von Menschen verursachen, aber in jedem Fall hätte das Fortbestehen Ihrer Macht mit dem Töten zu tun. Sie mögen jetzt so beschaffen sein, dass Sie zum Töten gar nicht in der Lage wären. Aber der Weg der Macht ist ein langer, ein beschwerlicher Weg, und ein Weg, der den Menschen verändert. Und Sie können ihn erst gehen, wenn Sie zur Macht auch bereit sind und sich genügend angepasst haben.«
    Auf einmal dachte ich: Vielleicht hat er ja recht.
    »Hören Sie sich mal«, sagte der Professor, »die Geschichte von dem Prinzen Selim und seinem Bruder Korkut an. Die beiden Prinzen lebten in Bursa. Beim Tod ihres Vaters würde einer von ihnen Sultan werden, und weil es Sitte war, dass der neue Sultan seine Brüder umbringen ließ, würde das den Tod des anderen bedeuten. Sie wussten nicht, wer den Thron besteigen würde, und so schworen sie sich, dass derjenige, der zum Sultan würde, das Leben des anderen verschonen sollte. Schließlich war es so weit, und Selim wurde Sultan.«
    »Und was ist mit Korkut geschehen?«
    »Na was schon, er wurde umgebracht. Mit Versprechen und gutem Willen hat das alles nichts zu tun. Macht kann nur durch strikte Kontrolle gezügelt werden.«
    »Also kann nicht die Macht an sich etwas bewirken, sondern nur eine Opposition.«
    Er sah mich an wie eine gelehrige Schülerin und nickte. Um das Thema zu wechseln, sagte ich: »1204 ist die Stadt von den Kreuzfahrern geplündert worden.«
    »Stimmt. Die haben in Konstantinopel mehr Schaden angerichtet als die Osmanen.«
    »Sie haben auch die Quadriga gestohlen, die auf dem Markusdom steht.«
    »Ja, genau. Haben Sie etwa Geschichte studiert?«
    »Nein, Literatur, aber das mit den Kreuzfahrern weiß bei uns jedes Kind.«
    »Im Westen weiß es kaum jemand.«
    »Über Ihre Zeit damals wissen auch nicht viele Bescheid.«
    »Über welche Zeit?«
    »Na die Zeit, in der all die berühmten Wissenschaftler in die Türkei gekommen sind.«
    »Nämlich?«
    »Reuter, Neumark, Hirsch, Auerbach, Spitzer, Sie …«
    »Hören Sie auf, das waren alles Freunde von mir. Woher wissen Sie das alles?«
    »Tja, ich kann lesen, Herr Professor, und neugierig bin ich auch.«
    »Haben Sie die Memoiren dieser Leute gelesen?«
    »Bis jetzt nur angelesen. Und ich habe im Archiv der Universität gesucht.«
    »Im Archiv? Die haben dort Akten über uns?«
    »Ja, und zwar zum Teil sehr umfangreiche. Wenn ich

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