Serenade für Nadja
Schlepper war, mit dem man auf der Donau Vieh befördert hatte.
In Konstanza war das Schiff notdürftig repariert und umgebaut worden. Aus Orangenkisten hatte man im Frachtraum Pritschen installiert. Unter normalen Umständen wäre es niemandem in den Sinn gekommen, das Schiff mit derart vielen Passagieren auf die offene See zu lassen. Höchstens zweihundertfünfzig Menschen hätten darauf reisen können, und so bedurfte es einer Sondergenehmigung, die mit Bestechungsgeldern erkauft wurde.
Als die Struma auslief, winkten ihr Menschen nach, die nicht genügend Geld aufgebracht hatten, um selbst mitzufahren. Bei manchen Eltern hatte das Geld nur für die Kinder gereicht, die sie in die Obhut mitreisender Bekannter gegeben hatten.
Während der Überfahrt über das Schwarze Meer streikte immer wieder der Schiffsmotor, bis er schließlich ganz den Dienst versagte. Von einem türkischen Schlepper wurde die Struma schließlich in der Nacht vom 16. April 1941 in den Bosporus gezogen. Bei ihrer Ankunft hatte sie sich von einem Schiff in einen schwimmenden Sarg verwandelt.
Rumänien wollte die Struma nicht zurückhaben, die türkischen Behörden wiederum verweigerten den Passagieren die Erlaubnis, von Bord zu gehen. Den geltenden Gesetzen zufolge bekamen nur Reisende im Besitz eines auf das Zielland ausgestellten Visums eine Durchreiserlaubnis und damit die Genehmigung erteilt, sich auf türkischem Boden für befristete Zeit aufzuhalten.
Palästina stand damals unter britischem Mandat, und solange die Briten den Reisenden kein Visum gewährten, konnten diese in Istanbul nicht an Land gehen. Das türkische Außenministerium verlangte von Hughe Knatchbull-Hugessen, dem britischenBotschafter in Ankara, eine Zusicherung dafür, dass die Passagiere nach Palästina einreisen durften, und schien somit zumindest geneigt zu sein, die Menschen von Bord zu lassen, bis das Schiff repariert sein würde. Jene Zusicherung wurde von den Briten jedoch verweigert.
Trotz internationaler Vermittlungsbemühungen wies die britische Regierung ihren Hochkommissar in Palästina in einem Telegramm ausdrücklich an, eine Weiterreise des Schiffes unter allen Umständen zu verhindern. Der Hochkommissar sah es daraufhin als sinnvoll an, dass die Struma von den türkischen Behörden wieder zurück ins Schwarze Meer geschickt wurde.
So wurde die Struma mit kaputtem Motor und funktionsuntüchtigem Generator vor Istanbul ihrem Schicksal überlassen.
Plötzlich merkte ich, dass ich schon zu spät dran war. Hektisch griff ich zu Bluse und Rock.
12
İlyas war schon vor fünf Uhr da. Als ich aus dem Fenster sah, stand er rauchend ans Auto gelehnt. Aber wenigstens stank er nicht wie Süleyman den ganzen Wagen voll.
Als wir losfuhren, fragte ich ihn nach der Geige.
»Süleyman sagt, er hat sie nicht«, erwiderte İlyas in zugleich betrübtem und zweifelndem Ton. »Ich habe ihn gebeten, noch mal zu suchen, aber er bleibt dabei, dass er sie nicht hat.«
Höchst unangenehm war das, so viel, wie die Geige dem Professor ganz augenscheinlich bedeutete. Sie mochte ein Souvenir an damals sein. Entweder ich ließ mich auf den Wahnsinn ein, nach Şile zu fahren und herumzufragen, ob nicht jemand im Sand eine Geige gefunden hatte, oder ich schaffte es irgendwie, aus Süleyman die Wahrheit herauszupressen.
Es war kein gutes Zeichen, dass er sich nicht mehr hatte blicken lassen, seit er mit dem Ausruf »Schweinerei!« aus dem Black Sea Motel hinausgeprescht war. Dass er sich so eine Vorlage entgehen ließ, war schlechterdings undenkbar. Wahrscheinlich schmiedete er schon Pläne.
»Wo wird der Mercedes denn repariert?«, fragte ich.
»Bei Meister Rıza.«
»Könnten wir da mal vorbeischauen?«
»Natürlich. Es ist ganz in der Nähe.«
»Dann los!«
İlyas macht bei der ersten Gelegenheit kehrt, und bald kamen wir in eine Straße, in der sich Autowerkstatt an Autowerkstatt reihte. Überall hantierten blutjunge Kerle in verschmierten Overalls an Autos, wechselten Reifen, tauschten Zündkerzen aus.
Das war nun eine ganz andere Jugend. Diese Lehrlinge waren so alt wie die jungen Leute in den Einkaufszentren, unterschieden sichaber grundsätzlich von jenen. Aus ihren schmutzigen Gesichtern sprach ein Kummer, der ihrem Alter so gar nicht entsprach. Um für ihre Familie zu sorgen, schufteten sie selbst am Wochenende in solchen Werkstätten und brachten abends das bisschen Geld, das sie verdienten, nach Hause in irgendein abgelegenes Viertel.
Ihre Väter mochten
Weitere Kostenlose Bücher