Serenade für Nadja
im Amt, seitdem Atatürk am Tag nach der Reichspogromnacht verstorben war, hielt strikt an der Neutralität des Landes fest.
Dabei wurde den Deutschen in der türkischen Presse und auch in politischen Kreisen bis hin zu Regierungsvertretern viel Bewunderung entgegengebracht. Wenn Hitler militärische Erfolge verzeichnete, wurde das in Ankara von manchen Abgeordneten überschwänglich gefeiert, gerade so, als kämpften türkische Truppen.
Die Türkei lieferte an Deutschland kriegswichtiges Chrom, und es gab in Istanbul ein sogenanntes »Deutsches Informationsbüro«, das mit einigem Erfolg für das deutsche Regime Propaganda betrieb. Maximilian und seine Freunde wiederum wurden als Exilanten von der deutschen Gemeinschaft in der Türkei ausgegrenzt.
Jene traf sich gerne im Teutonia-Haus und in der Sommerresidenz des deutschen Botschafters in Tarabya, am Bosporus, wo oft Partys gegeben wurden. Nicht nur hatten Leute wie Maximilian dort keinen Zutritt, sondern das deutsche Regime übte auf die türkische Regierung Druck aus, um ihrer habhaft zu werden. Man bediente sich dazu eines Sondergesandten, der über sie Berichte verfassen sollte.
Sein Name war Scurla.
Für Maximilian indes zählte nur eines, die Suche nach Nadja. Seine verzweifelten Bemühungen brachten ihn schließlich in Kontakt zu »Notre Dame de Sion«, einer angesehenen Mädchenschule im Stadtteil Harbiye, in der der Unterricht auf Französisch abgehalten wurde. Maximilian hatte unter seinen neuen Bekannten Absolventinnen jener Schule, und als eine von ihnen, Şebnem, einen Italiener geheiratet hatte, war er zur Trauung in die KircheSaint Esprit gekommen, die sich innerhalb des ehrwürdigen Schulkomplexes befand. Der Gründer der Kongregation war der jüdischstämmige Théodore Ratisbonne gewesen, der aus philosophischen Einsichten heraus zum christlichen Glauben konvertiert war und sich später hatte zum Priester weihen lassen. 1843 gründete er in Paris die Kongregation »Notre Dame de Sion«, von der die Istanbuler Schule ein Ableger war. Aufgrund der jüdischen Herkunft ihres Gründers fühlte die Institution sich dem Judentum besonders verbunden.
Als Maximilian erfuhr, dass die Kongregation in Not geratene Juden unterstützte, wandte er sich an die Nonnen und erzählte ihnen seine Geschichte. Sie versicherten, Nadja in ihre Gebete einzuschließen, doch stehe es nicht in ihrer Macht, zu ihrer Rettung etwas beizutragen. Als er sich enttäuscht wieder verabschieden wollte, sagte die Schwester Oberin: »Ihnen kann nur einer helfen, Herr Wagner, und zwar Monsignore Roncalli.«
Da begannen aufregende Tage für Maximilian. Erst erkundigte er sich, wer dieser Monsignore Roncalli eigentlich sei. Laut der Schwester Oberin handelte es sich bei ihm um den Apostolischen Delegaten des Vatikans. Da es zwischen der Türkei und dem Vatikan keine offiziellen diplomatischen Beziehungen gab, fungierte Angelo Roncalli als inoffizieller Vertreter des Papstes. Er erfreute sich in der Türkei großer Beliebtheit und ließ die katholischen Gebete auf Türkisch rezitieren.
In späteren Jahren sollte Roncalli noch sehr bekannt werden, und zwar als Papst Johannes XXIII., der in Italien als »der gute Papst« gelten und nach seinem Tod seliggesprochen werden sollte. Es wurde bezeugt, Roncalli habe während seiner Istanbuler Zeit sogar Lahme geheilt.
Maximilian merkte schnell, dass es sich bei Monsignore Roncalli um eine äußerst humane Persönlichkeit handelte. Da Roncalli alle Menschen als Brüder ansah, liebte er auch die Protestanten und die Juden, und selbst den Islam erkannte er an. Auf dem Weg zu Gott galt ihm jeglicher Glaube als ebenbürtig.
Noch mehr aber interessierte Maximilian, dass Roncalli zusammen mit von Papen zahlreichen Juden vom Balkan das Leben gerettethatte. Zwar kam es Maximilian seltsam vor, dass an diesen Aktionen ausgerechnet von Papen beteiligt war, doch am Wahrheitsgehalt dieser Aussage konnte es keinen Zweifel geben.
Von Papen war deutscher Botschafter in Ankara, und nicht nur das, er war 1932 Reichskanzler gewesen, und kein anderer als er hatte 1933 dem Reichspräsidenten Hindenburg vorgeschlagen, Hitler zum Reichskanzler zu ernennen. Von Papen selbst amtierte danach als Vizekanzler, wurde aber bald danach politisch kaltgestellt.
Dennoch durfte er als Botschafter nach Wien gehen, wo er den Anschluss Österreichs vorbereitete. Einer Versetzung nach Ankara widersetzte sich zunächst Atatürk, der von Papen während des Ersten Weltkriegs, als
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