Serenade für Nadja
Frau an der Hand. Sie waren auf dem Weg zur Universität.
»Liebling, du musst dort nicht hin. Wenn du willst, bringe ich dich wieder nach Hause.«
»Ach, Max, diesmal muss ich mit.«
Maximilian war an der Universität sehr beliebt und in kurzer Zeit zum Professor berufen worden. Es standen ihm sämtliche Möglichkeiten offen. An der Universität war es üblich, beim akademischen Personal jede Beförderung und auch jeden sonstigen Erfolg mit einer kleinen Feier halb privater, halb offizieller Natur zu begehen.
An jenem Abend wurde ein von Maximilian verfasstes Buch gefeiert. Die Leute standen mit einem Glas in der Hand plaudernd beisammen und tauschten Höflichkeiten aus.
Eine Frau trat ans Rednerpult und erläuterte kurz den Anlass der Feier. Dann bat sie den Rektor an das Pult, der sich über Professor Wagners Wirken äußerte. Gegen Ende seiner Rede absolvierte er noch, sichtlich bemüht, die Pflichtübung, die Überlegenheit der Wissenschaftler deutscher Rasse zu rühmen, für die Professor Wagner ein ausgezeichnetes Beispiel sei.
Dann knallten auch schon die Sektkorken, und Maximilian nahm zahllose Gratulationen entgegen.
Zum Abschluss der Veranstaltung wurde eine Grußbotschaft des Reichsministeriums für Wissenschaft verlesen. Kaum war diese verklungen, reckten alle Anwesenden den Arm in die Höhe und riefen: »Heil Hitler!«
Nadja erstarrte. Ob jemand bemerkte, dass sie den Hitlergruß verweigerte? In letzter Zeit war ihr ohnehin so, als ob über sie getuschelt würde. Zu allem Überfluss hatte die Frau am Pult nichts Besseres zu tun, als eine Passage der Botschaft zu wiederholen,sodass die Leute wieder ihr Glas in die Linke nahmen, um mit dem rechten Arm grüßen zu können. »Heil Hitler!«, tönte es erneut, allerdings diesmal ziemlich durcheinander.
Da reckte auf einmal auch Nadja den Arm empor, und zwar so heftig, dass sie in der Schulter einen Schmerz verspürte. Aus Leibeskräften rief sie: »Heil Hitler!« Sie ließ den Arm sinken, riss ihn aber gleich wieder hoch, noch zackiger diesmal. Und so laut sie konnte, schrie sie wieder: »Heil Hitler!«
Sie hatte Tränen in den Augen und zitterte. Maximilian zog sachte ihren ausgestreckten Arm herab, legte ihr die Hand auf die Schulter und begleitete sie zur Tür.
Ohne sich zu verabschieden, gingen sie davon, was aber nicht missbilligt wurde. Man hatte Verständnis für die junge Frau, die sich aus lauter Stolz auf ihren Mann ein wenig echauffiert hatte.
Auf dem Heimweg sagte Nadja, nun wieder mit normaler Stimme: »Entschuldige bitte, Max.«
Maximilian beugte sich zu ihr vor und küsste liebevoll ihre feuchte Wange.
Eines Tages kam Maximilian mit Brot und einer Zeitung nach Hause, küsste Nadja an der Tür und ging mit ihr in das hinterste Zimmer, das von der Nachbarwohnung am weitesten entfernt war. Dort lasen sie abends Zeitung und konnten sich unbefangen unterhalten.
Ein Kolumnist behauptete, er könne Juden an ihrem Geruch erkennen. Die beiden lachten über diese Nachricht, wenn auch bitter. Überhaupt hatten sie sich angewöhnt, so manches einfach wegzulächeln.
Maximilian legte die Zeitung beiseite und setzte sich aufrecht hin. Gerührt betrachtete er seine lesende Frau. Dann streckte er die Hand aus und fuhr ihr mit den Fingerspitzen zärtlich übers Haar und übers Gesicht. Als er beim Hals angelangt war, beugte er sich vor und küsste sie.
»Vielleicht hat der Mann ja recht«, sagte er. »Ich erkenne dich auch an deinem Geruch.«
Diesmal lächelte Nadja nicht.
»Max, es wird immer mehr Druck auf Mischehen ausgeübt. Was ist, wenn sie uns draufkommen?« Gequält verzog sie das Gesicht. »Die lassen uns hier nicht in Ruhe leben.«
»Ich weiß nicht. An der Uni hat noch niemand irgendwelche Nachforschungen betrieben. Sowieso gelten wir dort als absolut zuverlässig. Ich glaube, es besteht noch keine Gefahr.«
Nadja hielt sich den schmerzenden Kopf. Ihr Mann wollte sie stets trösten und beschwichtigen.
Nadja waren Gerüchte zu Ohren gekommen, was mit Juden passierte, die ihre Identität verheimlichten und verschwanden. Sie konnte sich nicht vorstellen, auch nur einen Tag lang ohne Maximilian zu sein. Auch wusste sie, dass er ohne sie erst recht nicht leben konnte, und um ihm solchen Trennungsschmerz nur ja zu ersparen, gab sie doppelt Acht. Noch dazu würden sie ein Kind bekommen. Sie war schon zwei Monate überfällig, und nun war sie sich ganz sicher.
Die Befürchtungen der beiden nahmen zu. An der Universität hatte wohl
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