Serenade für Nadja
schweigend und sinnierend neben Maximilian her. Dann sagte er, ohne den Kopf zu wenden: »Vielleicht kann dir Schummi helfen.«
Dabei blickte er auf seine Schuhspitzen, als sei er sich seiner Sache nicht ganz sicher. Maximilian aber wusste, dass der Mann nie einfach ins Blaue redete.
»Was meinst du, wie er mir helfen kann?«, fragte er.
Auerbach meinte den berühmten Kinderarzt Professor Albert Eckstein, der von seinen Freunden »Schummi« genannt wurde. Nach seiner Entlassung aus der Medizinischen Akademie Düsseldorf hatte Eckstein ein Angebot des türkischen Gesundheitsministeriums angenommen und sich mit seiner Familie in Ankara niedergelassen, wo er im Numune-Krankenhaus arbeitete. Er verfügteüber einen ausgezeichneten Ruf, und nicht nur Türken ließen ihre Kinder bei ihm behandeln, sondern auch regimetreue Deutsche.
Auerbach erzählte Maximilian eine Begebenheit aus Ecksteins Leben. Während eines Wien-Aufenthalts mit ihrer Mutter sei die fünfjährige Tochter des türkischen Landwirtschaftsministers Şakir Kesebir schwer erkrankt. Es sei ein Lungenemphysem diagnostiziert worden und das Kind in einem kritischen Zustand gewesen. Die verzweifelte Mutter habe ihren Mann in Ankara angerufen und geklagt, die kleine Tülin liege im Sterben. Daraufhin habe der Minister Eckstein gebeten, nach Wien zu reisen und sein Kind dort zu behandeln. Nach dem Anschluss sei dies aber für Eckstein gefährlich gewesen, so dass schließlich Atatürk eingegriffen und dem Arzt versichert habe, ein türkischer Attaché werde ihm während seiner Reise nicht einen Augenblick von der Seite weichen.
So sei Eckstein mit dem Zug nach Budapest gefahren und dort von einem türkischen Diplomaten in Empfang genommen und nach Wien gebracht worden. Bei seinem Eintreffen im Krankenhaus sei das Mädchen tatsächlich dem Tod schon sehr nahe gewesen. Sofort habe er eine Operation angeordnet, doch die ansässigen Chirurgen hätten erwidert, sie operierten keine Leiche. Da Eckstein auf der Operation bestanden habe, sei der Thorax des Mädchens schließlich geöffnet worden, Eckstein habe die Entzündung behandelt, und danach habe Tülin endlich wieder atmen können.
Eckstein sei aus Wien sehr deprimiert zurückgekehrt, habe er doch mit eigenen Augen gesehen, wie schlimm die Nazis es inzwischen trieben. Die Unfähigkeit der Wiener Ärzte habe er sich so erklärt, dass jene »mit dem Kopf woanders gewesen« seien. Einem jüdischen Arzt und einer sozialdemokratischen Krankenschwester, deren jüdischer Verlobter verschollen war, habe Eckstein türkische Pässe verschafft und damit eine Ausreise in die Türkei ermöglicht.
Maximilian wunderte sich, dass der ansonsten recht schweigsame Auerbach ihm das alles so ausführlich erzählte.
»Vielen Dank, Erich, das kann mir sehr weiterhelfen«, sagte erund hatte auch schon den Entschluss gefasst, Eckstein in Ankara aufzusuchen.
»Moment, das ist noch nicht alles.«
»Ja?«
»Eckstein hat einen so guten Ruf, dass sich alle Regierungsmitglieder bei ihm behandeln lassen, auch von Papen und andere Nazigrößen.«
»Tatsächlich?«
»Ja, und genau das kann dir von Nutzen sein. Es gibt da einen gewissen Maitzig, der als deutscher Handelsattaché firmiert, aber in Wirklichkeit die Aktivitäten in der Türkei koordiniert, und der hat neulich Eckstein zu sich nach Hause gerufen, weil seine Tochter hohes Fieber hatte. Du hast vielleicht schon gehört von dem Mann?«
»Ja.«
»Nachdem Eckstein das Mädchen behandelt hatte, hat er jedes Honorar abgelehnt mit den Worten: ›Ihr schmutziges Geld will ich nicht.‹«
Was Auerbach ihm da erzählte, konnte Nadjas Rettung sein. Maximilian schüttelte ihm die Hand und dankte ihm überschwänglich. Gleich am folgenden Tag ließ er sich beurlauben und fuhr nach Ankara zu Eckstein.
Als er mit dem Arzt in dessen Sprechstundenzimmer im Numune-Krankenhaus zusammensaß, war er beeindruckt von dessen Erscheinung. Der Mann mit der Stirnglatze und dem willensstarken Blick strahlte etwas Vertrauenswürdiges und Aufrichtiges aus. Ihm war jedoch anzusehen, wie begrenzt seine Zeit war. So kam Maximilian auch gleich zur Sache.
»Ich weiß nicht, ob meine Frau noch lebt oder nicht, ob sie gerade ihr Kind zur Welt bringt … Hier ist der Taufschein, Herr Professor. Das Leben einer Familie liegt in Ihren Händen.«
Dr. Eckstein sah sein Gegenüber aufmerksam an. Unter seiner ehrfurchtgebietenden Erscheinung verbarg sich ein weiches Herz.
»Helfen möchte ich Ihnen auf jeden
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