Serenade für Nadja
Fall, aber zu diesem Maitzig, diesem Nazi, kann ich nicht mehr gehen. Dazu müsste ich mich verleugnen.«
»Hier geht es um ein Menschenleben. Ich flehe Sie an, Herr Professor, helfen Sie mir!«, bat Maximilian. Er schloss er die Augen und verharrte eine Weile so. Schließlich fügte er hinzu: »Geben Sie mir einen Brief an Maitzig mit, dann rede ich mit ihm.«
»Nein, das käme aufs Gleiche hinaus. Aber warten Sie mal. Versprechen kann ich Ihnen nichts, aber es gäbe da vielleicht eine Möglichkeit.«
Maximilian hielt den Atem an. Wartete er nicht schon monatelang? Manchmal kam ihn das Warten schon sehr hart an.
»Nachher kommt Frau von Papen ins Krankenhaus«, sagte schließlich Dr. Eckstein. »Vielleicht kann ich sie ja während der Untersuchung um so etwas bitten.«
»Sie sind ein wunderbarer Mensch, Herr Professor! Das werde ich Ihnen mein Lebtag nicht vergessen.«
»Jetzt warten Sie erst mal ab. Noch ist nichts erreicht.«
Maximilian überreichte ihm den Taufschein und stand auf.
»Ich warte draußen im Garten auf Sie. Dürfte ich Sie nachher noch einmal kurz sehen, wenn Frau von Papen wieder weg ist?«
»Ich hätte Ihnen gern vorgeschlagen, hier zu warten, aber es ist wohl besser, wenn Sie und Frau von Papen sich nicht begegnen.«
»Machen Sie sich wegen mir keine Sorgen. Ich komme noch einmal hoch, wenn sie fort ist.«
Im Garten ging Maximilian zwischen am Boden kauernden Patienten vom Lande umher, die ergeben auf eine Behandlung warteten.
Nach einer Weile traf eine schwarze Limousine ein, der Frau von Papen und ihre Leibwächter entstiegen. Der Chefarzt und der Krankenhausdirektor empfingen die Frau an der Treppe und baten sie ehrerbietig hinein. Im Gegensatz zu den vielen Menschen, die seit Stunden und vielleicht auch schon Tagen auf Einlass warteten, wurde Frau von Papen sofort drangenommen.
Er wartete und wartete. Sich auf den Boden zu kauern wie die anatolischen Bauern um ihn herum, erwies sich nach wenigen Minuten als zu schmerzhaft. Ihm war ein Rätsel, wie die Menschen stundenlang in dieser Haltung ausharren konnten.
Er hätte nicht zu sagen gewusst, wie viel Zeit vergangen war, als Frau von Papen wiederum vom Chefarzt und vom Direktor zu ihrem Wagen begleitet wurde. Dr. Eckstein war nicht mit herausgekommen, wie schon bei ihrem Eintreffen. Aufgeregt hastete Maximilian die Treppe zu ihm hoch.
Zuerst sahen sie sich schweigend an. Dr. Eckstein wirkte müde, ausgelaugt gar, sodass Max gar nicht zu fragen wagte. Er fürchtete, einen negativen Bescheid nicht ertragen zu können.
»Professor Wagner«, sagte Dr. Eckstein dann, »ich habe meine Pflicht getan. Ich habe Frau von Papen den Taufschein gegeben und sie darum gebeten, sich um die Sache zu kümmern, und sie hat mir versprochen, das zu tun. Als sie sich beim Verabschieden bei mir bedanken wollte, habe ich gesagt: ›Wenn Sie sich Katharinas annehmen, ist mir das Dank genug.‹ So, mehr kann ich für Sie nicht tun, Herr Professor. Wir sind alle in Gottes Hand.«
Wieder blickten sie sich wortlos an. Dr. Eckstein atmete tief durch, dann sagte er: »Ich wünsche Ihnen von Herzen, dass Sie Ihre Frau gesund und munter wiederfinden.«
Maximilian wusste gar nicht, wie er dem Mann danken sollte. Er ging auf ihn zu, schüttelte ihm nur lang die Hand und ging dann hinaus.
Am Abend bestieg er einen Zug nach Istanbul. Dort angekommen, ging er als Erstes zu Erich Auerbach und erzählte ihm alles. Dann konnte er nichts anderes mehr zu tun, als abzuwarten.
Er empfand tiefe Dankbarkeit gegenüber Auerbach, Eckstein und den anderen Juden, die ihn unterstützten. Das Dritte Reich hatte ihr Leben zerstört, ihre Angehörigen umgebracht, und doch zögerten sie keinen Augenblick, einem »reinblütigen« Deutschen beizuspringen.
Jeder Tag erschien ihm nun wie ein Jahrhundert. Aus mehreren Quellen wartete er auf eine Nachricht, aber lange konnte er nichts Konkretes in Erfahrung bringen. Bis er eines Tages hörte, Nadjas Eltern seien nach der Besetzung Rumäniens ermordet worden. Die jüdische Bevölkerung ihres Dorfes sei in ein Gebäude gesperrt worden, und nach und nach habe man die Menschen dann in kleinen Gruppen herausgeholt, angeblich um sie freizulassen, doch inWirklichkeit, um sie an einem anderen Ort an Fleischerhaken aufzuhängen.
Dann, endlich, erfuhr er etwas über Nadja, drei Wochen nach seinem Aufenthalt in Ankara; drei Wochen, die ihm vorgekommen waren wie eine Ewigkeit.
Er bekam die Nachricht über Dr. Eckstein: Nadja war noch am Leben,
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