Serenade für Nadja
gestalten. Maximilian war vor Freude außer sich und küsste das Ehepaar Arditi.
Am folgenden Tag teilte er die frohe Botschaft seinen türkischen und deutschen Kollegen an der Universität mit und wurde von allen beglückwünscht. Wenn Nadja erst einmal da wäre, würde er mit ihr Monsignore Roncalli und Dr. Eckstein besuchen.
Jene Woche verstrich voller Aufregung, aber unendlich langsam. Als noch hundertzwei Stunden zu warten waren, sagte sich Maximilian, die schlimmen Tage seien nun bald vorbei. Die monatelange Trennung gehe endlich vorüber. Als es noch vierundsiebzig Stunden waren, wurde ihm die Aufregung allmählich unerträglich. Und als er bei siebzehn Stunden angelangt war, hatte er das deutliche Gefühl, unmöglich noch länger warten zu können.
Seine Berechnungen, wie lange es bis zu Nadjas Ankunft noch wäre, waren im Grunde nur Schätzungen, und noch dazu recht optimistische. Als er hoffte, es seien nur noch zwölf Stunden, fuhr er nach Rumelikavağı, wo der Bosporus aufs Schwarze Meer hinausgeht. Von einem Hügel aus hatte er einen atemberaubenden Ausblick. Hier musste das Schiff vorbeikommen.
Er hatte sich ein Taxi gemietet, bis zu Nadjas Eintreffen. WährendMaximilian mit einem Fernglas den Horizont absuchte, stand der Taxifahrer Remzi rauchend daneben.
Die siebzehn Stunden, die er geglaubt hatte, nicht mehr ertragen zu können, waren irgendwann vorbei, und es waren weitere siebzehn Stunden vergangen.
Einmal wurden sie von Soldaten kontrolliert, die man auf die beiden Männer, die sich ständig auf dem Hügel herumtrieben, aufmerksam gemacht hatte. In Kriegszeiten erregte so ein Benehmen Verdacht. Als die Soldaten Maximilians Geschichte hörten, gingen sie jedoch schweigend wieder davon.
Am Tag darauf sah Maximilian durch das Fernglas ein Schiff, das sich auf den Bosporus zubewegte. Aufgeregt wartete er, bis es nahe genug herankam, dass man etwas erkennen konnte. Es handelte sich um ein sehr altes Schiff, fast ein Wrack, und es musste einen Maschinenschaden haben, da es von einem Schlepper gezogen werden musste. Auf Deck standen die Menschen dicht gedrängt. Maximilian war nicht sicher, ob dies wirklich das Schiff war, das er erwartete. Da, endlich, konnte er den Schiffsnamen lesen: Es war die Struma !
Nadja war in türkischen Gewässern, nur noch zwei Kilometer von Max entfernt. Allmählich waren durch das Fernglas einzelne Menschen auszumachen, und Maximilian spähte sich auf der Suche nach Nadja die Augen aus.
Als das heruntergekommene Schiff auf ihrer Höhe vorbeifuhr, ließ sich erkennen, wie ausgelaugt die Passagiere sein mussten, die sich auf dem Deck drängten.
Parallel zum Schiff fuhren sie die Küstenstraße entlang. Vor Tophane ging das Schiff vor Anker. Maximilian und Remzi stiegen aus dem Taxi, gingen zum Ufer hinunter und mieteten ein Motorboot.
Das völlig verschmutzte Schiff schien viel tiefer im Wasser zu liegen als normal und sah aus, als könne es jeden Augenblick sinken. Maximilian hatte einzig und allein im Sinn, Nadja sofort von dort herunterzuholen. Da merkte er, wie ihm von den Booten der Küstenwache, die um die Struma kreisten, Zeichen gemacht wurden. Kehren Sie um, sollten sie bedeuten. Die Uniformierten bliesen in ihre Trillerpfeifen und riefen: »Quarantäne! Quarantäne!«Unverrichter Dinge mussten Maximilian und Remzi zurück ans Ufer fahren. Es waren eben wohl noch Gesundheitskontrollen durchzuführen.
Danach aber vergingen Stunden, ohne dass irgendetwas geschah. Da ging Maximilian zur Hafenverwaltung und verlangte, den Direktor zu sprechen. Der erläuterte ihm, die Struma sei eigentlich nach Palästina unterwegs und liege nur wegen eines Motorschadens in Istanbul vor Anker.
»Meine Frau will sowieso nach Istanbul und nicht nach Palästina«, sagte Maximilian. »Kann sie nicht gleich von Bord?«
»Nein. Laut Anweisung darf kein Passagier aussteigen und niemand an das Schiff herankommen.«
Tagelang hatte er die Stunden gezählt, und dann so etwas. Bald aber fasste Maximilian sich wieder. Nach allem, was bereits überstanden war, brauchten sie jetzt nur noch ein wenig Geduld. Ein, zwei Tage, dann war diese letzte Hürde bestimmt genommen. Nadja war in Istanbul, der Rest war ein Kinderspiel.
Indes vergingen mehrere Tage, und niemandem wurde erlaubt, das Schiff zu verlassen. Inzwischen verfertigten Passagiere französisch geschriebene Spruchbänder, auf denen Sauvez-nous (Rettet uns) und Immigrants juifs (Jüdische Einwanderer) stand. Es war schon eine
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