Serenade für Nadja
Gemeinde Istanbuls bekam die Erlaubnis, mit Hilfslieferungen zu beginnen. Auch wurde der Schiffsmotor zur Reparatur an Land geschafft.
So wurden immer mehr Details über die Lebensumstände an Bord bekannt. Die einzige Toilette war verstopft, und es breitetensich ansteckende Krankheiten aus. Es würden dringend Nahrungsmittel und Medikamente benötigt, und auch Heizmaterial gegen die Februarkälte.
Schreie waren manchmal bis zum Ufer zu hören. Wenn daraufhin Istanbuler Hilfe leisten wollten, wurden sie jedes Mal daran gehindert.
Maximilian bekam schließlich heraus, wer die beiden Mitglieder der jüdischen Gemeinde waren, die als Einzige an Bord durften; sie hießen Simon Brod und Rifat Karako. Über das Ehepaar Arditi nahm er Kontakt zu ihnen auf. Er schilderte Simon Brod seine Lage und bat ihn, an Nadja einen Brief zu übermitteln. Mitleidig sagte der Mann zu und steckte den Brief in die Tasche.
Und nun, vierundzwanzig Stunden später, wartete Maximilian voller Ungeduld darauf, dass es endlich drei Uhr war. Als es so weit war, richtete er das Fernglas auf die Stelle, die er Nadja in seinem Brief angegeben hatte. Und tatsächlich, da war sie!
Sie sah abgemagert und müde aus, aber immer noch wunderschön. Maximilians Herz war nahe daran zu zerspringen. Nadja hatte also seinen Brief bekommen. Nadjas Gesicht kam ihm viel deutlicher vor als das aller anderen. War sie denn so lange nicht an Deck gekommen, dass er sie nie in der Menge entdeckt hatte? Nun hatte er sie endlich vor sie und konnte sich gar nicht sattsehen.
Nadja winkte ihm zu und schickte ihm Kusshände. Auch sie hatte ein Fernglas. Hatte sie das auf dem Schiff bekommen? Oder war es ihr vom Überbringer des Briefes beschafft worden?
Maximilian winkte zurück und sandte ebenfalls Kusshände. Lauthals schrie er: »Ich liebe dich!«
Ja, Nadja hatte ihn garantiert gesehen, denn sie winkte wieder.
Am nächsten Tag suchte er Simon Brod auf, noch ganz außer sich vor Freude. Dieser hielt ihm einen gelben Zettel hin, mit rumänischen Wörtern darauf. Als er den Zettel umdrehte, erkannte er sofort Nadjas Handschrift. Da stand: »Warte auf mich! Nadja.«
Brod klärte ihn über die Zustände auf der Struma auf, die immer unerträglicher wurden. Man befürchtete den Ausbruch einer Epidemie.
»Was haben Sie jetzt vor?«, fragte Maximilian.
»Wir haben es nicht geschafft, die türkische Regierung umzustimmen. Jetzt können wir nur dafür sorgen, dass der Motor so schnell wie möglich repariert wird und das Schiff weiterfahren kann.«
»Aber das lassen doch die Briten nicht zu.«
»Wir betreiben in London gerade Vermittlungsarbeit, und hier in der Türkei verhandeln wir mit dem britischen Botschafter. Das ist äußerst mühsam, doch eine andere Wahl haben wir nicht.«
Nervös lachte Maximilian auf.
Auf dem Weg zur Universität überlegte er, was nun zu tun sei. Eckstein würde ihm nicht helfen können, doch vielleicht war von Monsignore Roncalli etwas zu erhoffen. Eine Christin mit Taufschein konnte jener womöglich von Bord holen. Er ging sofort zu ihm und brachte sein Anliegen vor. Bedauernd teilte Roncalli ihm mit, dass er ihm diesmal nicht helfen könne. Er habe bezüglich der Struma schon etwas unternommen, doch ohne jeden Erfolg.
Als Maximilian an einem anderen Tag wieder am Ufer stand, beobachtete er, dass mit einem Motorboot mehrere Personen vom Schiff geholt wurden. Aufgeregt zeigte er das Boot Remzi.
Am folgenden Tag erfuhr Maximilian, um wen es sich bei den Geretteten handelte: Dem Unternehmer Vehbi Koç war es gelungen, den Vertreter der Standard Oil Company in Rumänien, Martin Segal, zusammen mit seiner Frau und seinen beiden Kindern von Bord zu holen.
Zwei Tage später wurde eine kranke Frau an Land gebracht. Sie stand kurz vor der Entbindung und wurde wegen starker Blutungen in das jüdische Or-Ahayim-Krankenhaus am Goldenen Horn eingeliefert. Über einen Kollegen an der medizinischen Fakultät gelang es Maximilian, beim Chefarzt des Krankenhauses einen Termin zu bekommen.
Er bat diesen um eine Unterredung mit der Frau, von der er sich bestimmte Informationen erhoffte.
Einige Stunden später betrat Maximilian auf Zehenspitzen das Krankenzimmer der Frau, die gerade schlief. Sie hatte eine Fehlgeburt erlitten. Still wartete Maximilian ab, bis sie wieder erwachte.Ihre eingefallenen Wangen und die Schatten unter den Augen sprachen Bände darüber, was sie auf dem Schiff erlitten haben mochte.
Schließlich wachte die Frau auf. Sie hieß
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