Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Serenade für Nadja

Serenade für Nadja

Titel: Serenade für Nadja Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zülfü Livanelli
Vom Netzwerk:
Medea Salomovici, und zum Glück sprach sie Deutsch, da sie Fremdsprachen studiert hatte.
    Sie starrte Maximilian lange unverwandt an. In ihrem schmal gewordenen Gesicht wirkten die schwarzen Augen umso riesiger. Ihre Wimpern waren so lang, dass sie die Augen fast überschatteten.
    Mit schwacher, kaum hörbarer Stimme sagte sie: »Guten Tag, Herr Wagner.«
    Maximilian war wie vom Schlag gerührt.
    Sie redete weiter oder versuchte es zumindest, war aber fast nicht zu verstehen. Maximilian kam näher.
    »Nadja hat mir viel geholfen«, sagte sie. »Sie hat alles getan, um meine Schmerzen zu lindern.«
    Die Frau atmete schwer, bevor sie weitersprechen konnte. Sie nahm Maximilian bei der Hand und sah ihn eindringlich an.
    »Sie hat immer von Ihnen gesprochen und mir eine Aufnahme von Ihnen gezeigt, so habe ich Sie erkannt. Retten Sie sie so schnell wie möglich aus dieser Hölle. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie schlimm es dort ist. Retten Sie sie, sonst stirbt sie, sie stirbt! Mein Mann ist auch auf dem Schiff.«
    Ihr liefen Tränen über das Gesicht. Immer wieder sagte sie: »Retten Sie sie, sonst stirbt sie, und retten Sie auch meinen Mann.« Sie wurde dabei leiser und leiser, bis ihre Worte erstarben. Sie war ohnmächtig geworden oder vor Erschöpfung eingeschlafen. Ein Arzt, der gerade hereinkam, bat Maximilian, das Krankenzimmer zu verlassen.
    Nach jenem Besuch war er noch ratloser als zuvor.
    In den Zeitungen war von Verhandlungen die Rede, die zwischen der britischen und der türkischen Regierung geführt wurden. Winston Churchill erklärte, er werde eine Weiterfahrt des Schiffes auf keinen Fall genehmigen.
    Als genau siebzig Tage vergangen waren, sah Maximilian durch sein Fernglas, dass zahlreiche Polizisten die Struma betraten.Ganz offensichtlich war etwas im Gange. Die Passagiere wurden gezwungen, allesamt unter Deck zu gehen, wo man sie einsperrte. Dann wurde der Anker gekappt, und ein großer Schlepper zog das Schiff wieder in Richtung Schwarzes Meer. Ohne Anker und ohne Motor wurde die Struma wieder dorthin geschafft, wo sie hergekommen war.
    Mit dem Wagen fuhren Maximilian und Remzi den Bosporus entlang neben dem Schiff her, bis sie ans Schwarze Meer gelangten. Dort konnten sie nur noch mit ansehen, wie die Struma nach rechts davongeschleppt wurde, also in Richtung Riva und Şile.
    Sie fuhren zurück in die Stadt. Maximilian wollte mit der Autofähre auf die asiatische Seite übersetzen und das Schiff von dort verfolgen, doch Remzi konnte ihn davon zu überzeugen, das erst am folgenden Morgen zu tun. Im Dunkel würden sie sich bestimmt verfahren und das Schiff gar nicht finden. So kamen sie überein, am nächsten Morgen um vier Uhr aufzubrechen.
    Nach einer qualvoll durchwachten Nacht fuhr er mit Remzi auf die erste Autofähre und setzte nach Anatolien über, wo sie in Richtung Şile fuhren.
    Auf den Hügeln, von denen sich das Meer übersehen ließ, hielten sie jeweils. In der Nähe von Şile, in der Bucht von Yom, fand er die Struma schließlich. Sie wirkte, als habe man sie ihrem Schicksal überlassen. Der Schlepper war weg. Sie liefen zum Strand hinunter.
    Maximilian flehte die Fischer am Strand an, sie sollten ihn zu dem Schiff bringen. Wegen des schlechten Wetters und der hohen Wellen sträubten sie sich zunächst, doch gegen eine entsprechend hohe Bezahlung willigte einer schließlich ein.
    Sie bestiegen dessen Motorboot und kämpften sich gegen die Wellen in Richtung Struma vor. Ganz verrückt bei dem Gedanken, gleich bei Nadja zu sein, stand Maximilian auf dem schwankenden Boot.
    Das Schiff war von keinerlei Sicherheitskräften mehr bewacht. In spätestens einer halben Stunde würde er mit Nadja zurück am Strand sein und in das Auto steigen, das sie nach Hause bringen sollte.
    Der Fischer sorgte sich um den Mann, und als er ihn gerade zum Hinsetzen bewegen wollte, explodierte die Struma .
    Nach dem Knall herrschte eine unheimliche Stille. Das Wasser war voller Holzstücke und Leichenteile, und mit unglaublicher Geschwindigkeit versank das Schiff im Meer.
    Der Fischer war augenblicklich umgekehrt und fuhr rasch auf den Strand zu. Maximilian schrie ihn an: »Halt, halt, fahren Sie zurück!«
    Da der Fischer nicht auf ihn hörte, stürzte Maximilian sich auf ihn. Die beiden rangen eine Weile, dann fiel der Fischer ins Meer. Maximilian riss das Steuerrad herum und brachte mit diesem Manöver das Boot zum Kentern.
    Als er wieder zu sich kam, wusste er zunächst gar nicht, wer die Männer um ihn

Weitere Kostenlose Bücher