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Serenade für Nadja

Serenade für Nadja

Titel: Serenade für Nadja Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zülfü Livanelli
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beklemmende Situation. Maximilian glaubte allmählich verrückt zu werden. Nadja war so nahe, und er konnte nicht zu ihr.
    Schließlich bat Maximilian den Rektor der Universität um Hilfe. Der verwies ihn an einen Bekannten bei der staatlichen Schifffahrtsgesellschaft und verschaffte ihm dort einen Termin. Maximilian wurde freundlich empfangen, bekam einen Kaffee serviert und erfuhr Genaueres über die Geschichte der Struma .
    Das Schiff war 1867 in Newcastle gebaut worden und fuhr unter panamesischer Flagge, und zwar im Einsatz für die Firma Compania Mediterranea de Vapores Limitada, die einem Griechen namens Pandelis gehörte. Die Fahrt nach Palästina organisierte der jüdische Augenarzt Baruch Konfino.
    Als 1941 in der rumänischen Stadt Iaşi bei einem antisemitischen Pogrom an die 13 000 Menschen umgekommen waren, versuchtendie Juden, aus dem Land zu flüchten. Bald wurde in Zeitungsanzeigen dafür geworben, das »Luxusschiff Struma « werde vom Hafen Konstanza aus nach Palästina auslaufen. Bebildert waren die Anzeigen mit Aufnahmen des Ozeandampfers Queen Mary .
    Der Fahrpreis betrug nicht weniger als 1000 Dollar pro Person, und es entrichteten ihn 769 Menschen. Da manche Familien diese Summe nur einmal aufbringen konnten, mussten sie unter ihren Kindern eine Wahl treffen und damit entscheiden, wer gerettet werden sollte und wer nicht.
    Da das Schiff hoffnungslos überfüllt war und bei weitem nicht allen Passagieren an Deck Platz bot, mussten die meisten Menschen fast den ganzen Tag im stickigen Innenraum verbringen. Die Verpflegung war miserabel. Noch dazu setzte der Schiffsmotor immer wieder aus, bis er kurz vor Istanbul schließlich ganz versagte, so dass ein türkischer Schlepper die Struma durch den Bosporus bis zur Serailspitze ziehen musste.
    »In diesem Zustand kann das Schiff ohnehin nicht weiter nach Palästina. Höchstens nach einer Reparatur«, erläuterte der Mitarbeiter.
    »Was soll dann jetzt werden?«, fragte Maximilian.
    »Wir müssen warten.«
    »Aber meine Frau will doch nach Istanbul. Sie muss von dem Schiff herunter.«
    »Tut mir leid, aber das geht jetzt nicht.«
    »Warum denn?«
    »Die Regierung hat kategorisch angeordnet, dass niemand das Schiff verlassen darf.«
    Fassungslos breitete Maximilian die Arme aus und schüttelte den Kopf. Sein Gegenüber wiederum neigte bedauernd den Kopf zur Seite und zuckte ab und zu mit den Schultern.
    Allmählich gelangte der Fall in die Presse. Die türkische Regierung verdächtigte die Passagiere, sie wollten gar nicht nach Palästina, sondern sich in Istanbul niederlassen, und in Kriegszeiten 769 Juden aufzunehmen, war man nicht gewillt. Vielmehr sollte der Schiffsmotor repariert werden und die Fahrt nach Palästina weitergehen.Dagegen sperrte sich die britische Regierung, die im unter ihrer Verwaltung stehenden Palästina auf ein gutes Einvernehmen mit den Arabern und damit auf eine Begrenzung jüdischer Einwanderung bestand. Die Briten übten starken Druck auf die türkische Regierung aus, die wiederum fürchtete, unter den Passagieren könnten sich Spione befinden.
    Tag für Tag fuhr Maximilian nach Tophane und versuchte mit dem Fernglas Nadjas Gesicht auszumachen. Ständig gingen ihm die Nachrichten im Kopf herum, die er in den Zeitungen las. Warum legte die britische Regierung diesen armen Menschen solche Hindernisse in den Weg, und warum brachte die türkische Regierung sie nicht wenigstens in Flüchtlingslagern unter?
    Was hatte Nadja damit zu tun, dass die Briten gut mit den Arabern auskommen wollten und die Türken sich vor Spionen fürchteten? Zu seinem Taxifahrer Remzi sagte Maximilian: »Sehen Sie, Macht ist niemals unschuldig.«
    So vergingen fast zwei Monate, in denen Maximilian jeden Tag ans Ufer kam und dort genauso hilflos wartete wie die Menschen auf dem Schiff. Eines Tages aber war er besonders ungeduldig. Da die Zeit so gar nicht vergehen wollte, beschloss er, eine ganze Weile nicht mehr auf die Uhr zu sehen.
    An dem Tag hatte in der Zeitung gestanden, zwei junge Männer seien von der Struma gesprungen und hätten davonzuschwimmen versucht. Sie seien allerdings gefasst und zurück auf das Schiff gebracht worden. Maximilian hatte das nicht mitbekommen, kein Wunder allerdings, denn er konnte nicht unentwegt mit dem Fernglas am Ufer stehen. Er hatte zu arbeiten, zu unterrichten aufgehört.
    Anfangs durfte außer Behördenvertretern niemand die Struma betreten, doch diese Regelung wurde nach einer Weile gelockert, und die jüdische

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