Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Serenade für Nadja

Serenade für Nadja

Titel: Serenade für Nadja Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zülfü Livanelli
Vom Netzwerk:
Türkisch »Vatikanische Botschaft – Istanbuler Vertretung«. Durch dieses Tor also war Maximilian damals getreten, als er von Monsignore Roncalli für Nadja einen Taufschein bekommen hatte. Mein Gott, in was für einer Stadt wir doch lebten! Wer von den Menschen, die sich vor dem immer heftigerenSchneetreiben in Geschäfte und Bushäuschen flüchteten, war sich dessen so richtig bewusst?
    Es war aber nicht an mir, irgendjemandem Vorwürfe zu machen. Bis vor einer Woche hatte ich selber noch gleichsam in einer anderen Stadt gewohnt. Obwohl ich Literatur studiert hatte und ein wenig in Geschichte bewandert war, hatte all das bisher jenseits meines Vorstellungskreises gelegen.
    Mit solchen Gedanken stieg ich in ein Taxi und sagte: »Zum Or-Ahayim-Krankenhaus bitte.«
    Als wir übers Goldene Horn fuhren, schienen mir selbst die Möwen fröhlicher ins Meer zu tauchen als sonst. Danach, am Ufer entlang, hatte ich zur Linken die byzantinische Stadtmauer, zur Rechten eine ganze Reihe eindrucksvoller Gebäude, das spektakulärste davon die aus Stahl und Gusseisen erbaute Bulgarische Kirche, deren Einzelteile in Wien gefertigt und über Donau und Schwarzes Meer nach Istanbul geschifft worden waren.
    Das Or-Ahayim-Krankenhaus bestand aus einem historischen Gebäude und einem modernen Neubau daneben. Ich trat durch das Gittertor und sagte an der Anmeldung, ich käme vom Rektorat der Universität Istanbul und würde gerne mit dem Leiter des Krankenhauses sprechen.
    Bald darauf kam ein kräftiger Mann mittleren Alters auf mich zu und schüttelte mir freundlich die Hand. Er war erfreut, dass ich zu Recherchezwecken gekommen war, und startete sofort eine kleine Führung durch das Krankenhaus. Mir fielen die Porträts an der Wand auf, da manche der Dargestellten einen jüdischen Namen, dahinter aber den osmanischen Militärtitel »Paşa« trugen. Der Leiter erklärte mir, es handle sich dabei um osmanische Generäle, die die Gründung des Krankenhauses unterstützt hätten.
    Auf dem Weg durch die Gänge sah ich nicht nur Ärzte und Schwestern, sondern auch einheitlich rosa gekleidete Frauen zum Teil recht fortgeschrittenen Alters. Als ich fragte, was ihre Funktion sei, erwiderte der Leiter lächelnd: »Das sind unsere rosa Engel. Sie arbeiten ehrenamtlich und sind Tag und Nacht im Einsatz.«
    Als wir später im Büro des Leiters Kaffee tranken, fragte ich ihn, ob er zufällig wisse, in welchem Zimmer damals Medea Salomovici gelegen hatte. Ihm war der Name kein Begriff, doch verwies er mich an Leyla, einen der rosa Engel. Wenn, dann wisse sie Bescheid.
    Leyla war eine an die siebzig Jahre alte Dame, der die rosa Uniform bestens stand. Man konnte ihr förmlich ansehen, dass sie gern Gutes tat. Als ich sie nach Medea fragte, bekam ihr Blick etwas Sinnierendes.
    »Ach wissen Sie«, sagte sie dann, »an die Sache damals erinnert sich hier niemand. Oder vielmehr will sich niemand erinnern. Darum wird auch nicht darüber geredet, aber als ich hier angefangen habe, war ich neugierig und habe die Leute gefragt, die hier schon lange arbeiteten. Und darum weiß ich auch, auf welchem Zimmer Medea damals lag.«
    Sie lächelte mich so aufmunternd an, dass ich sie bat, mir das Zimmer zu zeigen. Ich verabschiedete mich vom Leiter, und gemeinsam machten wir uns auf den Weg. Ich war so aufgeregt, als würde ich gleich die bleiche Medea zu Gesicht bekommen, und daneben den jungen Maximilian. Als wir am Ziel waren, öffnete Leyla sanft die Tür und ließ mich einen Blick hineinwerfen. Es war ein normales Krankenzimmer, in dessen Bett eine alte Frau lag. Um nicht zu stören, machten wir die Tür gleich wieder zu.
    Vielleicht hätte ich nicht kommen sollen, dachte ich. Womöglich war es überhaupt besser, wenn ich keine Orte mehr aufsuchte, die ich gedanklich überhöhte, weil ich um ihre Geschichte wusste. Von der bloßen Vorstellung hatte man oft mehr als von der Realität. Dennoch bedankte ich mich herzlich bei Leyla, die mich nicht gehen ließ, ohne mir ein Glas der von den rosa Engeln gekochten Rosenmarmelade mitzugeben.
    Es dämmerte bereits, als ich wieder draußen war. Wegen des heftigen Schneefalls drängte alles nach Hause, und eine ganze Weile winkte ich vor dem Krankenhaus vergeblich den vorbeifahrenden Taxis zu. Schließlich fand ich eines, das einen Patienten gebracht hatte, und konnte endlich nach Hause.
    Nach dem Abendessen setzte ich mich hin und nahm mir den letzten Teil der Berichte über die Struma vor. Ich machte mich umso lieber

Weitere Kostenlose Bücher