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Serenade für Nadja

Serenade für Nadja

Titel: Serenade für Nadja Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zülfü Livanelli
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sich mit großer Mühe daran hoch, bis sie aus dem Bett heraus war. Ohne meine Hand loszulassen, trällerte sie weiter und wiegte dazu ihren verschrumpelten Körper hin und her, als tanzte sie einen Walzer. Weder verstand ich irgendein Wort, noch konnte ich eine Melodie heraushören, das Ganze schien kein Ende zu nehmen. Irgendwann hielt ich es nicht mehr aus. Möglichst behutsam schob ich die Frau auf ihr Bett.
    »Madame Arditi, Sie sollen von Max noch Sachen haben.«
    »Tja, wer sollte die sonst haben?«, erwiderte sie schelmisch zwinkernd.
    Enttäuscht machte ich mich daran, mich von ihr zu verabschieden.
    Da trat eine Krankenschwester ein und sagte: »Ich sehe, Sie haben Besuch, Rita. Es ist Zeit um Einnehmen.«
    »Rita?«, fragte ich.
    »Ja, Rita. Sie ist seit vier Jahren hier.«
    »Ich dachte, das sei Madame Matilda Arditi.«
    »Da haben Sie die zwei verwechselt. Madame Matilda ist in dem Zimmer da.«
    Von dem Raum ging ein zweites Zimmer ab.
    Obwohl Rita mich an der Nase herumgeführt hatte, tat sie mir nun leid. Ich ging zu ihr und nahm sie bei der Hand.
    »Es hat mich sehr gefreut, Sie kennenzulernen. Wir haben uns nett unterhalten, und ich komme Sie gerne wieder besuchen.«
    »Vergelt’s Gott«, sagte sie und schlug das Kreuzzeichen.
    Ich küsste die arme Frau noch auf die Wangen und ging dann in das zweite Zimmer hinüber. Madame Matilda war nicht in so guter Verfassung wie ihre Zimmernachbarin. Mit halbgeschlossenen Augen lag sie wie leblos da, als wollte sie sich von dieser Welt so schnell wie möglich verabschieden. Doch wie sich herausstellen sollte, war sie geistig noch vollkommen auf der Höhe.
    »Madame Arditi?«
    Sie lag auf der Seite und hatte das Gesicht in ihr Kissen vergraben. Nun schlug sie die Augen auf und fragte, ohne sich ansonsten zu regen, mit kraftloser Stimme: »Was wollen Sie?«
    Sie war kaum zu verstehen.
    »Ich bin Maya Duran von der Universität Istanbul, und ich würde Sie gerne etwas fragen.«
    »Dann fragen Sie.«
    »Sie haben doch 1939, 1940 in der Nasip-Straße gewohnt, oder?«
    »Ja.«
    »Und Sie hatten damals einen Nachbarn, Professor Maximilian Wagner. Können Sie sich an den erinnern?«
    »Und ob ich mich an den erinnere. Was möchten Sie über ihn wissen?«
    »Als er ausgewiesen wurde, hat er veranlasst, dass Dokumente von ihm zu Ihnen gebracht wurden.«
    »Das ist auch geschehen.«
    »Wo sind die jetzt, Madame Arditi?«
    »Die hat später einer vom deutschen Konsulat abgeholt.«
    »Wer war das? Können Sie sich an seinen Namen erinnern?«
    »Das Gesicht sehe ich noch vor mir, so ein ganz spitzes. Aber dass ich den Namen noch weiß, können Sie nicht von mir erwarten. Mit S hat er, glaube ich, angefangen.«
    »Scurla?«
    » C’est possible . Der Name kommt mir bekannt vor.«
    Ihr Gedächtnis war fabelhaft. Sie erinnerte sich an Details, die man in weit kürzerer Zeit vergessen konnte.
    Beim Hinausgehen dachte ich nicht an Scurla, sondern an Matilda und an Rita. Da ich mich mit Akzenten nicht besonders auskenne, hatte ich den griechischen Akzent Ritas für einen jüdischen gehalten. Rita hatte mich ganz schön reingelegt, aber trotzdem gefiel sie mir.
    Wenn ich einmal alt bin, möchte ich nicht wie Matilda werden, sondern lieber so wie Rita. Wenn erst der Geist nachlässt, stirbt der Mensch glücklicher.
    Maximilian würde dieses Glück leider nicht zuteil. Innerhalb eines halben Jahres würde er inmitten schmerzlicher Erinnerungen völlig klaren Kopfes sterben. Ich wollte ihm so gerne helfen. Würde ich wenigstens die Noten der Serenade finden, so würde der arme Mann noch ein letztes Lebensglück erfahren.
    Es schneite wieder ziemlich heftig, und alles war von einer leichten Schneeschicht bedeckt. Wie immer wurde mir ganz froh zumute. Im Schnee wurde Istanbul zu einer wahren Märchenstadt. Moscheen, Kirchen, Synagogen, Brücken, alles wurde in nebliges Weiß gehüllt. Das blaue Wasser des Bosporus wirkte bei solchem Wetter auf einmal flaschengrün. Die Stadt zog ihr weißes Kleid an. Mir fiel wieder meine armenische Großmutter ein. Der Schnee war die Bettdecke Anatoliens, aber auch das Märchengewand Istanbuls.
    Von Harbiye nach Şişli war es nicht weit, und bald hatte ich mich auch schon in die Ölçek-Straße durchgefragt. Die Vertretung des Vatikans mit der eleganten Architektur und dem Torbogen fiel einem dort sofort ins Auge.
    Auf einem Schild stand um eine symbolische Form herum, die ich nicht zu deuten wusste, »Nuntiatura Apostolica«, und darunter auf

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