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Serenade für Nadja

Serenade für Nadja

Titel: Serenade für Nadja Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zülfü Livanelli
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Tochter unserer Nachbarn in İzmir hieß so. Wir waren wahnsinnig gut befreundet. Ob sie wohl heute noch lebt …«
    »Madame Arditi, ich möchte Sie etwas fragen.«
    »Bitte.«
    »Erinnern Sie sich an Maximilian?«
    Ihr ohnehin schon faltiges Gesicht zog sich noch mehr zusammen, als sie versuchte, sich zu erinnern.
    »Ach ja«, sagte sie dann, »Maximilian, natürlich kenne ich den noch.«
    »Sie waren Nachbarn, in der Nasip-Straße.«
    »Ja, klar, die Nasip-Straße.«
    Sie wollte sich den Anschein geben, als sei sie sich nun ganz sicher, was aber nicht wirklich glaubwürdig wirkte.
    »Die Nasip-Straße in Genf, nicht wahr?«
    »Nein, Madame Arditi, die in Istanbul.«
    Sie stutzte. Dann sagte sie, wieder in selbstsicherem Ton: »Ja. Natürlich in Istanbul.«
    »Erinnern Sie sich an Max?«
    »An Max? Ach so, an Maximilian … Und ob ich mich an den erinnere.«
    »Könnten Sie mir ein bisschen von ihm erzählen?«
    »Ach …«
    Verschmitzt zwinkerte sie mir zu und winkte mich näher zu sich heran. Ich rückte den Sessel weiter vor zum Bett.
    »Dann reden wir mal von Frau zu Frau«, sagte sie kichernd. »Max war so ein vornehmer und wohlhabender Mann, und ein richtiger Gentleman. Ein Schürzenjäger war er natürlich auch, aber wie sollte er das auch nicht sein. Die Frauen ließen ihm ja keine Ruhe. Ach, war Istanbul noch schön, als ich jung war. Händchenhaltend sind wir zu Le Bon gegangen und haben Kuchen gegessen, und die éclairs dort waren so herrlich. Wo waren wir nicht überall! Das Petrograd wurde von Russen betrieben, und dort haben auch russische Mädchen bedient. Ein wunderbares Café.«
    Sie unterbrach sich, als wäre ihr etwas in den Sinn gekommen. Mit abwinkender Geste redete sie dann weiter.
    »In der Karlman-Passage habe ich immer eingekauft, und meine Schuhe waren stets von Paçikakis. Und wie hießen noch die anderen Geschäfte, Lion hießen sie, und Mayer. Und wenn uns nach Musik und Theater war, gingen wir ins Petits-Champs.«
    Sie dachte ein wenig nach, als hätte sie etwas vergessen.
    »Mein lieber Max hat ja nie etwas für sich selber gekauft. Seine Unterwäsche habe ich ihm bei Mayer besorgt. Dort hat Fritz gearbeitet, auch ein deutscher Jude. Dann war da noch Lazaro Franco, der hat auch schon lange zugemacht, so vor zwanzig Jahren. Vorhänge gab es da, und Haushaltswaren. Und meine Hüte habe ich auch immer im gleichen Geschäft gekauft. Da waren russische Hutmacherinnen, die ausgezeichnet arbeiteten. Die meine war Madame Bella und hatte ihren Laden über dem Lale-Kino. Dann gab es noch Marietta. Die meine war teurer, aber auch besser. Überhaupt gab es an jeder Ecke Schneider und Hutmacher.«
    Sie machte immer wieder kurze Pausen, in denen sie nachdachte, aber mir zugleich durch Gesten zu verstehen gab, es gehe gleich weiter, und ich solle sie nur ja nicht unterbrechen.
    »Ich hörte auch wahnsinnig gerne klassische Musik, Bach zum Beispiel, in einem kleinen Saal am Taksim-Platz. Oper gab es ja noch keine. In Tepebaşı war das Novotni , ein Restaurant von fünf, sechs russischen Brüdern, da wurde manchmal Klavier gespielt, das war schön. Gut gekocht haben sie auch, also sind wir fast immer da hin. Woanders spielten sie leider keine klassische Musik. Aber manchmal waren wir bei Konzerten, bei Rubinstein zum Beispiel, oder bei Yehudi Menuhin. Wenn ich da am Arm von Max den Saal betrat, fühlte ich mich wie eine Königin. Dienstags hatten wir unseren Kartenabend unter Freunden, aber wir putzten uns heraus wie zu einer schicken Abendveranstaltung. Zu sechst waren wir meist. Ich hatte jedes Mal ein anderes Kleid an. Auch mit dem Essen gaben wir uns große Mühe. Na ja, wir taten, was wir konnten.«
    Mir wurde ganz wirr im Kopf von ihrer hastigen, fast gierigen Art, zu erzählen.
    »Madame Arditi, sind Sie sicher, dass Sie von Professor Maximilian Wagner sprechen?«
    Im Brustton der Überzeugung sagte sie: »Natürlich. Ihn selber hätte ich vielleicht vergessen können, aber seine Musik doch nicht.«
    »Können Sie sich an die Serenade erinnern?«
    »Ja sind Sie des Wahnsinns, junge Frau? Wie soll ein Mensch dieses Werk je vergessen? Diese Paradiesmusik, die mich jedes Mal in den siebten Himmel entführt hat.«
    Mit dünner, sich manchmal überschlagender Stimme begann sie eine Melodie zu singen und wiegte sich dazu im Walzertakt. »Laa, lalalaa, laa, lala …« Dirigierend fuchtelte sie mit dem Arm herum. Dann winkte sie mich näher zu sich. Als ich aufstand, ergriff sie meine Hand und zog

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