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Serenade für Nadja

Serenade für Nadja

Titel: Serenade für Nadja Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zülfü Livanelli
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sah mich fragend an.
    »Ich muss unbedingt rauskriegen, wo die Nazi-Archive sind. Und eine alte Frau wie ich kommt mit dem Internet nicht so gut zurecht wie ihr cleverer Sohn.«
    Er lachte geschmeichelt.
    Er begann sofort zu suchen, und als Dankeschön klopfte ich ihm kurz auf die Schulter. Bald darauf rief er mich schon wieder und zeigte mir, was er gefunden hatte.
    Wie ich selbst schon herausbekommen hatte, befand das Archiv sich im deutschen Bad Arolsen und hieß ITS, International Tracing Service, also Internationaler Suchdienst. Der Suchdienst dokumentierte das Schicksal von Opfern der nationalsozialistischen Verfolgung.
    Unter den 17,5 Millionen Personen war ganz bestimmt auch Maximilian. Ich musste so bald wie möglich nach Bad Arolsen. Von ganzem Herzen hoffte ich, dort die Noten der Serenade zu finden.
    Es kam nicht dazu. Denn am nächsten Morgen brach eine Katastrophe über mich herein.

16
    Als das Telefon schrillte, lag ich noch im Bett. Ich wollte das Krankfeiern so richtig genießen.
    Ich merke, dass ich hier etwas korrigieren muss, und das ist mir gerade recht so, denn von dem vielen Tippen habe ich schon einen ganz steifen Nacken. Das Schreiben zu Hause ist mir viel leichter gefallen. Ich kam schnell vorwärts und dachte mir immer, dass ich ja sowieso später alles überarbeiten würde. Jetzt, wo es so weit ist, bleibe ich dauernd an Sätzen hängen, die mir nicht mehr gefallen.
    Zum Beispiel an dem Ausdruck »das Telefon schrillte«. Es ist ja nicht so, dass ein Telefon manchmal schrillt und manchmal nur klingelt, sondern wir interpretieren – je nachdem, was für eine Nachricht wir empfangen haben – später in das Klingeln etwas hinein. Das heißt, ich habe mich beim Schreiben vergaloppiert und so getan, als hätte ich schon vor dem Abheben gewusst, dass mich etwas Negatives erwartete. Doch wenn ich jetzt zurückdenke, kommt es mir so vor, als habe das Telefon schriller geklungen als sonst. Also doch keine Korrektur.
    Ohne jeglichen Gruß schrie Ahmet: »Wofür hältst du dich eigentlich? Was bildest du dir ein? Du hast Schimpf und Schande über uns gebracht! Wie kannst du Kerem noch ins Gesicht sehen, und mir, und deinen Eltern?«
    »He, Moment mal, ich bin gerade aufgewacht und habe keine Ahnung, wovon du redest.«
    Was war bloß in ihn gefahren? Ich hatte ihn noch nie so wütend erlebt.
    »Schämst du dich überhaupt nicht?«
    »Jetzt hör mal zu, Ahmet, schrei hier nicht so rum, sondern erklär mir endlich, was los ist.«
    »Eine Schande ist das, eine furchtbare Schande!«
    »Was ist los mir dir? Bist du übergeschnappt?«
    »Hast du die Zeitung nicht gesehen?«
    »Nein, was steht denn drin?«
    »Na, dann schau doch mal rein. Und so was will eine Mutter sein. Eine Schande.«
    »Lass mich in Frieden, du Idiot!«
    Ich legte auf. Aufgewühlt saß ich im Bett. Mit so einem Anruf geweckt zu werden, war grauenhaft. Kerem war schon aus dem Haus. Der Hausmeister brachte mir jeden Morgen die Zeitung an die Tür, und Kerem rührte sie garantiert nie an. Ich holte sie herein und überflog sie hastig. Auf den ersten Seiten das Übliche, aber da, auf Seite fünf … Augenblicklich wurde mir schwindlig, und Hitze stieg mir in den Kopf. Das durfte doch nicht wahr sein. Mit zitternden Händen las ich.
    SKANDAL AN DER UNIVERSITÄT ISTANBUL
    Eigener Bericht
    Die Universität Istanbul wird von einem Skandal erschüttert. Laut Behauptungen soll die für die Öffentlichkeitsarbeit zuständige Universitätsangestelle Maya Duran (36) sich letzte Woche mit dem amerikanischen Gastprofessor Maximilian Wagner (87) eingelassen haben.
    In einem Motel in der Nähe von Şile sollen die beiden von dem Universitätsangestellen S.L. und dem Motelangestellten A.K. dabei ertappt worden seien, wie sie trotz ihres großen Altersunterschieds splitternackt in einem Motelbett lagen. S.L. und A.K. schilderten den Anblick als »widerlich«.
    An der Universität löste die Nachricht einen Schock aus. Zu dem Skandal befragt, äußerte der Rektor der Universität, er werde eine Untersuchung anordnen, und falls die Behauptungen sich bewahrheiteten, werde das Arbeitsverhältnis mit der betreffenden Angestellten gelöst.
    Der Generalsekretär der Universität erklärte, es solle niemand erwarten, dass »an einer Bildungsstätte wie der unseren über eine solcheUngeheuerlichkeit hinweggesehen« werde. Während Gastprofessor Wagner die Türkei inzwischen wieder verlassen hat, wird nun eine Stellungnahme der derzeit krankgeschriebenen Maya

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