Serum
Kündigung gezwungen wurde?«, fragte er. »Erpressung?«
»Dazu der Präsident, der oberste Richter und der Chef des FBI«, ergänzte ich.
Die stellvertretende Redaktionsleiterin, eine Pulitzerpreisträgerin, saß mir gegenüber. Sie nippte an einem Kaffee und knabberte einen Powerriegel zum Frühstück. Sie steckte noch in ihrem knappen Fitnessdress, da sie gerade auf dem Weg zum Studio gewesen war. Sie war hübsch und wirkte skeptisch.
»Können Sie mir sagen, was ich gerade denke?«, fragte sie.
»Nur dass Sie sich schuldig fühlen«, erwiderte ich, und Gabrielle nickte zustimmend. »Ich vermute, weil jemand von Ihnen vor dieser Zusammenkunft das FBI verständigt hat. Sind darum die Vorhänge zum Redaktionsbüro zugezogen? Wollen Sie uns an der Flucht hindern? Keine Sorge. Wo sollten wir noch hin?«
»Tolle Geschichte«, meinte die Frau errötend. »Haha.«
Von ihnen allen schien Harris uns am ehesten Glauben zu schenken. Er sagte: »Nachdem ich Kims Leiche fand, habe ich die ganze Nacht lang versucht, Ihre Behauptungen zu überprüfen. Die Nationalen Nachrichtendienste leugnen jede Beteiligung. Der militärische Nachrichtendienst sagt, Captain Eisner habe sich unerlaubt von der Truppe entfernt. Der Heimatschutz will Sie verhaften. Verdammt, Sie haben selbst zugegeben, dass Sie diese Explosion in Virginia verursacht haben. Und die Morgennachrichten sind voll von Naturetech … Ein terroristischer Anschlag auf das Labor.«
»Wir sind keine Terroristen.«
Ich war noch nie im Gebäude der Post gewesen. Ein Anruf bei Eisners Reporterfreund hatte dieses Treffen im Morgengrauen ermöglicht. Ich hatte auf einem öffentlichen Ort bestanden. Wenn das FBI auftauchte – oder wer auch immer –, wollte ich Zeugen haben. Und zwar eine Menge. Journalistische Zeugen mit Journalistenfreunden in allen Medien.
»Wo ist Carl?«, hatte Harris als Erstes gefragt.
»Tot.«
Vor uns standen Gläser mit Wasser. Wir hatten sie nicht angerührt. Die Zimmertemperatur schien dank der Klimaanlage nahe dem Gefrierpunkt zu liegen, trotzdem schwitzte ich vor Schmerzen. Ich wandte mich an den Chefredakteur. Er traf die Entscheidungen. »Hören Sie, wir haben Ihnen drei Quellen für unsere Geschichte geliefert, richtig? Harris meinte, schon zwei würden genügen. Sie haben Ludenhorffs Disk …«
»Die gefälscht sein könnte«, fiel der Redaktionsleiter ein. »Wie die Hitler-Tagebücher. Sie haben Fotos gemacht? Was kann schon darauf zu sehen sein? Ein paar Medizinfläschchen mit Etiketten darauf? Das ist kein Beweis.«
»Und wenn die Disk echt ist, ist sie geheim«, warf die Pulitzerpreisträgerin ein. »Sie geben zu, sie gestohlen zu haben. Sie haben den stellvertretenden Direktor der Nationalen Nachrichtendienste gefesselt. Ihn gefoltert. Und jetzt wollen Sie uns zu Komplizen machen?«
»Ich dachte, Pulitzerjournalisten hätten mehr Mumm«, meinte Danny.
»Sie müssen die Story bringen!«, brach es aus Gabrielle hervor.
»Natürlich. Aber wir tragen eine große Verantwortung. Die Frage ist, welche Story ist die wahre Geschichte?«
»Wir machen uns hier nur zum Narren«, sagte der Südstaatentyp. »Ich sage, wir rufen das FBI.«
»Hören Sie auf mit dem Quatsch. Das haben Sie schon längst getan«, sagte ich. »Wir gehen nirgendwohin. Überzeugt Sie das nicht von unserer Seriosität?«
Ich konnte mich kaum noch aufrecht halten. Meine Sehkraft ließ an der Peripherie bereits nach, und die Temperatur schien in arktische Bereiche zu sinken. Das FBI würde bald zuschlagen, egal, welche Vereinbarungen es mit den Redakteuren getroffen hatte. Das war nicht mehr wichtig. Wir hatten unsere Waffen im Auto gelassen. Es würde niemanden überzeugen, wenn wir mit Schießeisen herumfuchtelten.
»Haut ab, bevor es zu spät ist«, hatte ich unten auf der Straße zu Danny und Gabrielle gesagt. »Ich rede allein mit ihnen.«
»Du kannst mich mal«, hatte Gabrielle erwidert.
Der Chefredakteur ergriff das Wort. »Einen Teil verstehe ich immer noch nicht ganz …«
Danny meinte: »Ist das der Teil, in dem sich Mike in seiner Zelle in einem Militärgefängnis erhängt? In dem sie Gabrielle nach Guantánamo bringen und der Oberste Gerichtshof fünf Jahre braucht, um überhaupt herauszufinden, dass sie dort steckt? Nachdem sie leider gerade an einer Krankheit verstorben ist?«
»Das wäre in jedem Fall eine tolle Story«, bemerkte die Pulitzerpreisträgerin.
»Was erwarten Sie denn von uns?«, fragte der Redaktionsleiter. »Nach unseren
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