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Setz dich über alles weg

Setz dich über alles weg

Titel: Setz dich über alles weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Bard
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Frühstück
haben?«
    Er schnellte versuchsweise seine
Forellenangel nach dem Bücherregal hin, blinzelte an der Rute entlang wie durch
ein Flintenvisier und sagte: »Ich glaube, ich werde gar nicht frühstücken, mir
ist ein wenig übel. Ich werde mich ein Weilchen hinlegen.«
    Ich hatte nie mit der Möglichkeit
gerechnet, daß ein Arzt krank werden könnte. Ich selber, die über so viel
kostenlose ärztliche Pflege verfügen durfte, hatte geplant, mir einige
interessante kleine Krankheiten zuzulegen, von jenem Typ, der nach
langstieligen Rosen schreit — mit angehefteten Kärtchen: ›Für mich bist du
immer schön!‹ Diese Wendung der Dinge war ein schwerer Schlag für mich, aber
ich brachte es fertig, mit dem alten Familienspruch aufzuwarten: »Wo tut’s
weh?«
    »Es sticht in der Seite. Das Huhn
gestern abend hat komisch geschmeckt. Wahrscheinlich eine kleine Salmonella.«
Er schlich zur Treppe. »Weck mich gegen eins, ich muß Besuche machen. Nimm die
Anrufe entgegen, wenn sie nicht besonders wichtig sind.«
    Stiche in der Seite! Die Familie hätte
gleich an den Blinddarm gedacht und einen Arzt geholt, auch wenn man ziemlich
überzeugt gewesen wäre, die unreifen Äpfel seien daran schuld. Ist man mit
einem Arzt verheiratet, dann hat man ja schon einen im Hause. Ich sammelte die
Zeitungen und Angelgeräte ein und folgte Jim nach oben. Er hockte im Pyjama und
Jagdrock im Bett, drei unbequem verknäulte Kissen hinter den Kopf gestopft. Ich
riß ihm die Kissen weg, legte sie ordentlich zurecht, zog ihm den Jagdrock aus
und den verhaßten Bademantel an. Dann musterte ich ihn mit diagnostischem
Blick, sagte ihm, er zittere und sehe grün aus, und machte mich erbötig, das
Heizkissen zu holen. Er stöhnte zweimal ganz fürchterlich.
    »Wenn eine Wärmflasche da ist, will ich
die auch noch haben!«
    Als ich mit dem Heizkissen und der
Wärmflasche zurückkehrte, waren die Kissen wieder verknäult, und er hatte den
Jagdrock über dem Bademantel an. Ferner lag mein gesamtes Bettzeug in einem Haufen,
den er über sich aufgetürmt hatte. Unter diesem wogenden Bettzeuggebirge tönte
ein regelmäßiges und herzzerreißendes Stöhnen hervor.
    »Haben wir Hühnerbrühe? Ich friere!«
    »Möchtest du nicht lieber heißen Tee?
Von Hühnerbrühe wird’ dir vielleicht noch übler werden.«
    »Hol’s der Teufel, ich habe nichts zu
mir genommen außer schwarzem Kaffee und Orangensaft — kein Wunder, daß mir übel
ist! Ich will heiße Hühnerbrühe haben, Zwieback und Tee!« Ein krampfhafter
Schauder überlief ihn, er packte das Heizkissen und die Wärmflasche, legte sie
sich behutsam auf den Bauch und zog die Kissen übers Gesicht. Das Stöhnen klang
nun gedämpfter, schien jedoch heftiger und häufiger zu werden.
    Während ich das Tablett für ihn
zurechtmachte, fragte ich mich: Sind Ärzte genauso wie andere Menschen — machen
sie, wenn sie krank sind, aus Mücken Elefanten, nur damit man sich recht um sie
kümmert — oder schwebt er wirklich in Lebensgefahr? Mich packte die Angst. Ich
versuchte mich genau zu erinnern, was Jims Sprechstundenhilfe mir von seiner
schrecklichen Krankheit erzählt hatte. Damals war er Praktikant gewesen.
›Riesige Schlagzeilen in der ganzen Chicagopresse, meine Liebe! Er bekam
Empyema — das ist eine Art Infektion — er hatte sich bei einer Obduktion in den
Daumen geschnitten. Er wog nur noch achtzig Pfund, das reinste Skelett. Und was
die großen Tiere aufgeregt waren! Wenn er ihr leiblicher Sohn gewesen wäre,
hätten sie nicht mehr mit ihm hermachen können! Gott sei ihm gnädig, wenn er je
wieder ernsthaft krank wird, Lungenentzündung oder was Ähnliches — er hat nur
noch eine Lunge, müssen Sie wissen — man hatte eine Rippenresektion
vorgenommen...‹
    Ich ging mit dem Tablett zu Jim, fragte
ihn, was Salmonella sei, tätschelte die paar Stellen, die von ihm zu sehen und
zu erreichen waren, und fragte ihn, ob ich Dr. Stokes anrufen solle.
    »Keine Spur! Ich glaube, es ist eine
waschechte Blinddarmentzündung. Wenn du unbedingt jemanden anrufen mußt — und
ruf lieber an, statt wie eine trauernde Taube herumzugurren — , dann ruf Marsh
an — aber erst, wenn ich dir’s sage! Das hier schmeckt’ gut — wahrscheinlich
bin ich nur ausgehungert.«
    Plötzlich stürzte er ins Badezimmer und
übergab sich. Ich wartete, bis er, bleich und zittrig, in sein Bett
zurückkehrte, legte ihm das Heizkissen und die Wärmflasche auf den Bauch,
ordnete die Decken und langte nach den Kissen.

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