Setz dich über alles weg
»Hör auf, die verdammten Kissen
anzufassen, ich will sie so haben!« Am ganzen Leibe zitternd, kuschelte er sich
unter die Decken, und seine Zähne ratterten wie ein Preßluftbohrer. Ich ging
hinunter, um meine Mutter anzurufen.
»Männer sind immer gleich schrecklich
krank! Was fehlt ihm denn?« Ihre Stimme klang ruhig und leicht resigniert.
»Er friert entsetzlich und hat
Übelkeit. Er läßt mich nichts machen, ich darf nicht einmal einen Arzt anrufen.«
»Ruf trotzdem einen Arzt an, ohne ihn
lange zu fragen!«
»Aber, Mutter — er ist doch selber
Arzt.«
»Und außerdem ein Mann! Ruf an, wenn du
mich brauchst. Adjüs!«
Ich rief Dr. Marsh an und schilderte
ihm, was Jim meiner Meinung nach fehlte und was ihm seiner Meinung nach fehlte.
Ich konnte mich an das Wort Salmonella nicht erinnern und sprach statt dessen
von Fleischvergiftung.
»Mhm! Wahrscheinlich war er beim Essen
übermüdet. Machen Sie sich keine Sorgen! Ich komme gleich.« Auch Dr. Marsh war
die Ruhe selbst. In dieser Situation war ich richtig froh, mit einem Arzt
verheiratet zu sein. Ich sah bereits Dutzende von Ärzten ungeduldig an der
Leine zerren, um einen der Ihren zu Hilfe zu eilen, ich sah die
Krankenschwestern wie verrückt herumrennen — alle darauf erpicht, den Herrn
Doktor besonders gut zu pflegen, um dadurch das eigene Renommee zu fördern — ,
und man gibt ihm das beste und schönste Zimmer im Krankenhaus. Einerlei, was
immer ihm fehlte, ich brauchte mir bestimmt keine Sorgen zu machen.
Als Dr. Marsh ins Zimmer kam, strahlte
er gemachte Munterkeit aus. »Was mit dir los ist? Weißt du noch nicht, daß wir
Ärzte immer krank werden, wenn wir Urlaub nehmen? Und erst die Flitterwochen —
da werden alle beide krank!« Während er Jim untersuchte, wandte er die
Ablenkungsmanöver eines Kinderarztes an. »Hast du die flotte Gastroenterectomie
gesehen, die ich gestern gemacht habe?« Nichts. »Ich habe gehört, daß Wharton
in den Bezirksausschuß gewählt wurde — höchste Zeit, daß etwas geschieht!«
Wieder nichts. »Was gedenkst du mit Maria Di Julio anzufangen? Geht es jetzt
einigermaßen?« Er stopfte Jim das Thermometer in den Mund. Jim murmelte etwas,
sah finster drein und zuckte mit den Brauen. »Ja, eine Diabetikerin, die ihre
Diät nicht enthalten will, ist ein Kreuz — mit dem Insulin allein ist es auch
nicht getan.« Er sah nach dem Thermometer, schüttelte es und betrachtete Jim
nachdenklich. »Es könnte Blinddarmentzündung sein, aber der Bauch ist ganz
weich, und wir brauchen vorläufig nicht an eine Operation zu denken. Sie haben
doch Eisbeutel im Hause, Mary?« Ich unterdrückte den Wunsch, ihn anzuschnauzen:
»Nein, meine Aussteuer war leider etwas mangelhaft, und machte mich erbötig, in
die Apotheke zu laufen. »Das ist nicht nötig. Ein bißchen Eis zerstampfen, zwei
Wärmflaschen damit anfüllen und ihm den Bauch schön einpacken! Geben Sie ihm
eine dieser Kapseln — es ist Nembutal — und rufen Sie mich an, wenn das Fieber
steigt.« Er wandte sich wieder an Jim, dessen Augen zornig funkelten. »Wenn
Wharton nur halb soviel ausrichtet, wie er vorhat, werden wir endlich was zu
sehen kriegen. Morgen früh, wenn du in die Praxis kommst, machen wir eine
Blutprobe. Wenn das Fieber steigt und die Schmerzen nicht nachlassen,
verständige mich, dann fahren wir noch heute nachmittag ins Krankenhaus.
Wahrscheinlich wird es sich beruhigen. Sie können mich jederzeit anrufen, Mary!
Abends auf dem Nachhauseweg schaue ich wieder vorbei.«
Eine merkwürdig saloppe Art, mit einer
Blinddarmentzündung umzugehen! Hat man nicht oft genug von Blinddarmrupturen
gehört, von Fällen, die im Scheinwerferlicht eines Autos mit einem
Taschenmesser operiert werden mußten?
Als ich mit Dr. Marsh hinunterging,
leistete ich mir einen sanften Protest. »Ist es richtig, einen entzündeten
Blinddarm sich selbst zu überlassen? Und wenn er platzt?«
»Unwahrscheinlich! Natürlich irren wir
uns manchmal — aber nicht sehr oft — der Bauch ist noch ganz weich, aber man
muß aufpassen.« Er tätschelte meine Hand. »Kopf hoch, er ist nicht der einzige
Doktor auf Erden. Es gibt sie in Massen. Wenn er Hunger bekommt, soll er etwas
Tee trinken und ein trockenes Röstbrot essen. Wahrscheinlich wird er die meiste
Zeit schlafen.« Er zog die Handschuhe an und nahm seine Tasche. »Internisten
können es nicht leiden, wenn ein Chirurg sie anfaßt. Geben Sie ihm nur leichte ! Sachen zu essen, morgen früh werden wir mehr wissen. Lassen Sie
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