Setz dich über alles weg
Bett und hielt meine Hand. »Mary, es ist ein Mädchen — groß
und dick!« Seine Züge zerschmolzen vor Liebe und Stolz — das erste Kind! — und
vor Freude, daß alles glücklich vorbei war. Hinter ihm stand Miss Ward und
hielt unser Baby im Arm. Mari schnitt eine Grimasse, gab einen Protestschrei
von sich und schnaubte durch die Nase. Sie war rot, dick und das merkwürdigste
Wesen auf Gottes Erdboden. Sie gehörte uns. Dieses herrliche Bewußtsein flutete
wie Sonnenschein durch meine Adern.
Jim begann an dem adretten Viereck des
Wickelbundes herumzufummeln. »Herr Doktor, die Maske!« sagte Miss Ward in
empörtem Ton. Sie hängte Jim die Gesichtsmaske um, dann als sie seine
hingerissene, zärtliche Miene sah, lächelte sie sanft, zog mir die Maske über
und verließ das Zimmer — gegen zwei strenge Krankenhausregeln verstoßend.
Erstens erlaubte sie uns, das Baby auszuwickeln, zweitens gestattete sie Jim,
im Zimmer zu bleiben, obwohl er zweifellos nicht desinfiziert war.
Mari entfaltete ihr Gesichtchen so
weit, daß zwei blaue Augenschlitze sichtbar wurden. Dann stieß sie auf,
schielte nach allen Seiten, ließ die Augäpfel zurückrollen, bis nur noch das
Weiße zu sehen war, und fing wieder zu schnüffeln an. Ich war entzückt und
fragte Jim, ehrlich, ob sie denn nicht das schönste Kind sei, das er je gesehen
habe...
»Nein, aber sie scheint gesund zu
sein.« Mit einem liebevollen Lächeln steckte er den Finger in das winzige
Händchen. Mit der anderen Hand strich er ihr leicht über den Kopf. »Dieses
subkutane Haematom wird in ein paar Tagen verschwinden — nicht wahr, Mari?«
Seine Stimme hatte den kindischen Ton, den verliebte Väter anzuschlagen
pflegen, aber ich hörte nur die langen Worte. Mit einem Ruck beugte ich mich
vor. Die warnenden Exempel der Medizinischen Anomalien schossen mir durch den
Kopf.
»Was ist das? Wo?«
Er zeigte auf zwei blau umrandete
Vertiefungen an der linken Seite des Schädels. Ich riß ihr schnell die
restlichen Tücher vom Leibe, um die Arme und Beine zu zählen. Jim hob sie hoch,
zog ihr das Hemdchen aus, entfernte die Windel und ließ nur einen winzigen
viereckigen Verband über dem Nabel zurück. Ich zählte hastig die Finger und die
kleinen Zehen, die wie gekräuselte Blütenblätter aussahen. Ein Kopf, ein
Körper, zehn Zehen und zehn Finger. Mit einem Seufzer sank ich in die Kissen
zurück. »Gott sei Dank, es ist keine Mißgeburt!«
Miss Ward kehrte mit strenger Miene
zurück. Schuldbewußt versuchten wir Mari wieder in ihren Kokon zu stopfen.
Ebensogut hätte man versuchen können, einem zappelnden Tintenfisch Windeln
anzulegen. Mit drei geschickten Handgriffen zog Miss Ward sie an, wickelte sie
wie einen chirurgischen Verband zusammen und verschwand mit ihr aus dem Zimmer.
Ein Mädchen! Ich war Mutter! Wiederholt
betastete ich meinen Bauch. Platt! Weg waren die lästigen Erinnerungen an die
beschwerlichen neun Monate, an die Wehen und all den Ärger, den mein Körper mir
bereitet hatte, weil er nicht mehr ein brauchbares und selbstverständliches
Werkzeug, sondern eine Quelle ständiger Irritation gewesen war.
Jim erhob sich. »Schlaf dich aus,
Dummerchen! Von jetzt an wirst du nicht mehr viel schlafen. Zum Lunch bin ich
wieder da.«
Auf dem Nachttisch lagen zwei große
Pakete, daneben stand eine Vase mit Rosen. Draußen auf dem Korridor läutete die
Ärzteklingel dreimal, das galt Pete. Die Aufzugstür klirrte, und trappelnde
Pflegerinnenschritte folgten dem Zischeln des Operationswagens: Ein neues Baby
war unterwegs. Ich schlief ein — und es war so ziemlich das letzte Schläfchen,
das ich mir während meines zehntägigen Aufenthaltes im Krankenhaus gestatten
durfte.
Als Jim krank lag, hatte ich mich wie
ein blutiger Laie benommen — unwillig, ängstlich und verwirrt durch die
unpersönlichen Methoden und den scheinbaren Mangel an Sympathie und
Rücksichtnahme. Jetzt war ich eine um zwei Jahre gereifte Veteranin, Ich kannte
sämtliche Schwestern, fast sämtliche Krankenhausärzte und wollte für mein Leben
gern mithelfen, bei Tag und bei Nacht mein Scherflein zu der Führung des
Betriebes beizusteuern.
Miss Ward erschien mit meinem
Lunchtablett und lächelte mir kameradschaftlich zu. »Ich hatte gestern nacht
Angst, wir würden den Herrn Doktor nicht durchkriegen!« Sie schraubte die
Kopfstütze hoch und stellte das Bettischchen über meine Beine. »Sie sind die
Schlimmsten, die Herren Doktoren! Sitzen im Wehenzimmer herum, sitzen im
Kreißzimmer
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