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Setz dich über alles weg

Setz dich über alles weg

Titel: Setz dich über alles weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Bard
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sie.
    Jim kam mit einem Tablett herein: eine
Käseomelette, frischer grüner Salat und eine Kanne mit köstlichem Kaffee.
»Mahlzeit!« sagte er mit strahlender Miene. »Ich habe es persönlich in der
Diätküche für dich zubereitet.« Es war wunderbar.
    Blumen, Geschenke, ein schönes gesundes
Baby, Glückwunschschreiben und ein Strom von Gästen, die sich bemühen, mich zu
unterhalten! Das ist ein Leben...
    Gegen halb zehn malte Jim ein großes
Schild: ›Zutritt verboten — auch für dich‹ — und befestigte es außen an der
Tür. »Pete sagt, du brauchst Ruhe, und ich werde dafür sorgen, daß man dich in
Ruhe läßt.« Er gähnte laut. »Ich habe gestern nacht kaum geschlafen —
eigentlich überhaupt nicht. Ich glaub’, ich geh’ nach Haus und leg’ mich hin.
Wenn sich hier ein Arzt blicken läßt, wirf ihn hinaus! Gute Nacht, Frau Mama!
Bis morgen früh!«
    Er war noch keine fünf Minuten weg, da
erschien die Schwester mit dem Baby. Nachdem sie gegangen war, legte ich mich
zurecht und nahm mir ein Buch vor. Ich fühlte mich wohl, ausgeruht und still zufrieden.
Ich fing gerade an zu dösen, da hörte ich einen grellen Schrei und dann ein
leises Stöhnen. Ich klingelte wie eine Wilde. Die Nachtschwester, Miss Dean,
kam herein. »Soll ich Ihnen den Rücken massieren?« Sie strich die Decken glatt,
schüttelte die Kissen auf und begann mir den Rücken mit Alkohol einzureiben.
Hin und her, mit weit ausholenden, lindernden Handbewegungen...
    »Wer liegt nebenan, Miss Dean?«
    Hin und her. »Ein armes kleines Ding. —
Ich habe ihr einige Ihrer Blumen gebracht.« Sie drehte mich auf den Rücken und
begann mich wie eine Schmetterlingspuppe einzuwickeln. Ihr Gesicht trug den
üblichen Ausdruck der Berufspflegerin, ein Gemisch emsiger Tüchtigkeit und
entschlossener Munterkeit, aber ich merkte, daß etwas nicht in Ordnung war.
    »Hat sie Wehen? Das Stöhnen kam mir
bekannt vor.«
    »Seit achtundvierzig Stunden — ohne
Betäubung — bis auf etwas Nembutal. Ihr Arzt gehört nicht zum Personal. Einer
dieser Rüpel, die sich einbilden, eine Frau weiß ihr Kind nicht richtig zu
schätzen, wenn sie nicht ordentlich hat leiden müssen.« Als die Schreie und das
Stöhnen immer lauter wurden, trat mir der kalte Schweiß auf die Stirn. Zwei
Tage und zwei Nächte lang diese stechenden Rückenschmerzen, diese glühende
Qual. Du lieber Gott, nein!
    »Warum geschieht denn nichts? Kann Pete
ihr nicht helfen?«
    Sie ging ein wenig aus sich heraus.
»Der Arzt wohnt außerhalb der Stadt. Er hat sie hier eingeliefert, und nach dem
ersten Tag hat er sich nicht mehr blicken lassen. Natürlich paßt unser
diensthabender Arzt auf sie auf, aber ihr Arzt hat uns streng verboten, ihr
irgendwelche Mittel zu geben. Ich wünschte ihm nur eine einzige Wehe!« Sie
schob mir das Thermometer in den Mund und fühlte den Puls. »Wir haben die
Nembutaldosis verdoppelt, aber das kann uns den Kragen kosten, wenn er Krach
schlägt. Dr. Williams wird sie sich ansehen. Vielleicht macht er einen
Kaiserschnitt.«
    »Wo ist ihr Mann? Kann er nicht etwas
tun?«
    »Sie ist nicht verheiratet.« Sie
knipste die Nachtlampe an. »Ich werde die Tür zumachen, dann können Sie sie
nicht hören.« Sie goß mir Wasser ins Glas. »Wenn man eine gute Schwester sein
will, darf man bloß nicht sentimental werden — nur nicht zuviel Mitleid! — ,
aber manchmal wird man doch verrückt, wenn man die armen Kinder leiden sieht.
Morgen früh ist es vorbei. Jetzt müssen Sie schlafen.« Sie preßte die Lippen
zusammen und ging hinaus, jeder Zoll ihres strammen weißgekleideten Persönchens
die verkörperte sachliche Tüchtigkeit.
    Plötzlich erinnerte ich mich an Edith
Stokes streng beherrschtes, intelligentes Gesicht. Was ich für unangenehme
Eiszapfenkühle gehalten hatte, war vielleicht nur eine in jahrelanger Disziplin
aufgebaute Selbstbeherrschung. Als Operationsoberschwester hatte sie mit
ansehen müssen, wie ein endloser Strom menschlicher Lebewesen auf den Operationstisch
gelegt wurde, meistens unter der Obhut geschulter Chirurgen, manchmal aber auch
schlampigen Pfuschern ausgeliefert. Nie durfte sie irgendwelche Reaktionen
zeigen. Sie war dazu da, tüchtige Operationsschwestern und keimfreie
Instrumente, nicht aber Gefühlswallungen zu liefern. Mit einem Seufzer öffnete
ich mein Buch. Würde das Lernen und Sichanpassen nie ein Ende haben?
    Am Abend des fünften Tages saß ich
bereits im Rollstuhl und fühlte mich so wohl wie noch nie in meinem Leben. Ich
war im

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