Setz dich über alles weg
— das normale Ergebnis halbverdauter Kenntnisse, die
sie für sehr gefährlich halten; deshalb sprechen sie zu mir wie zu einem
besonders launischen Balg, dem die Mutter das Aspirin nur immer in einem Löffel
verabreicht hat.
Zweitens wird mir nichts erklärt, und
es wird mir auch nichts mundgerecht gemacht: keinerlei Rücksicht auf meinen
nervösen Zustand! Ich hätte ja doch schon zu Hause alles mögliche und alles
Medizinische zu hören bekommen, also könne mich nichts erschüttern.
Drittens wird Jim mir alle die
langweiligen Einzelheiten schon erklären. Jim nimmt natürlich an, ich wäre so
gescheit gewesen, den Arzt zu fragen, aber so gescheit bin ich eben nicht
gewesen, weil ich eine Gratispatientin bin. Das hat zur Folge, daß mir kein
Mensch etwas erzählt.
Viertens sollte ich überhaupt nie krank
werden. Krank werden, heißt die Schar der hysterischen Weiber vergrößern, die
die Sprechzimmer der Ärzte verstopfen, so daß die wirklichen Patienten keine
Gelegenheit haben, behandelt zu werden.
Deshalb zuckte ich nicht mit der
Wimper, als sie mir etwas Ähnliches wie reine Schwefelsäure in beide Augen
träufelten, und beklagte mich nicht, wenn ihre grellen Stirnlampen wie
Scheinwerfer in meine gequälten Augen blitzten. Ich versprach gehorsamst, alles
zu scheuern, was ich berührte, und auf keinen Fall meine Augen zärtlich an den
Kleinen abzuwischen. Sämtlichen Personen, mit denen ich notgedrungen in
Berührung kommen müsse, würde ich erklären, daß ich die Zwillingsschwester
eines triefäugigen Leprakranken sei und in guter Gesellschaft nicht geduldet
werden dürfe.
Ich würde meine eigensinnige Haltung
aufgeben und tagtäglich zur Behandlung kommen, einerlei, wie viele
Bridgepartien auf meinem Programm stünden (ich hasse Bridge und spiele nie
Karten), und ich würde auch nicht vergessen, dreimal täglich diese Tropfen in
meine Augen zu träufeln. Wenn ich merkte, daß die Tropfen die Hornhaut nicht
erreichten, müßte ich die Prozedur wiederholen. Noch besser — ich sollte es Jim
überlassen, da wüßten sie wenigstens, daß ich sie nicht beschwindeln und das
Medikament in die Toilette gießen würde. Schäumend vor Ohnmacht, Wut und
Schmerz knirschte ich mit den Zähnen und versprach ihnen alles und jedes, was
sie auch verlangten. Dann legten sie mir als letzte Zierde eine Seeräuberbinde
über das rechte Auge und befahlen mir, still zu sitzen.
»Weißt du, trotz aller
Vorsichtsmaßregeln — ich setze sie in einen besonderen Raum, damit sie nicht
die anderen Patienten ansteckt; ich lasse sie nie etwas anfassen, ich tu’, was
ich nur kann — hat eine der Schwestern sich infiziert. Ein Mann bat sie, ihr
einen Scheck geben zu dürfen, und sie lieh ihm ihren Füller — ohne sich dabei
etwas zu denken. Es ist ein verdammt ansteckendes Zeug...« Milt besann sich
wieder auf meine Anwesenheit. »Wenn Sie nach Hause kommen, legen Sie sich
gleich ins Bett und — «
»Ich weiß schon — ins Bett legen und
ausruhen — alles liegen- und stehenlassen — sich keine Sorgen machen...« Sie
freuten sich kolossal, daß ich endlich einmal etwas einigermaßen Vernünftiges
über die Lippen brachte. Während meine Hände schlaff und desinfiziert ins Leere
hingen, unterhielten sie sich eine weitere halbe Stunde lang vergnügt über die
verschiedenen Aspekte der Keratokonjunctivitis und erklärten mir die restlichen
Greuelmärchen, mit denen sie mich unterwegs noch nicht hatten ins Bockshorn
jagen können. Das Labyrinth ihrer langen Worte erweckte in mir den lebhaften
Eindruck, ich würde mich rechtzeitig nach einem Blindenhund umsehen müssen,
falls ich nicht schon vorher als leichtsinnige Bazillenträgerin gesteinigt
werden würde.
Auf dem Rückweg zum Klub erteilten sie
mir Weisungen. Ständig die Hände waschen, Lysol ins Wasser tun, nicht
vergessen, daß der Kamm, die Bürste, alles, was man anrührt, anderen gefährlich
werden kann. Wenn die Kinder es kriegten, würden sie schlimm daran sein. Und
wenn Jim es kriegte, würde er toben. Ja, sie hätten wirklich gerne gewußt, wo
ich’s aufgegabelt hatte. Obwohl sie leider zugeben müßten, daß diese Krankheit
vor niemandem haltmache...
Kaum saßen wir wieder am Tisch, da
verkündeten sie voller Freuden allen, die in Hörweite waren, ich hätte
Keratoconjunctivitis, Horn- und Bindehautentzündung zugleich, und sämtliche
Tischgenossen hätten sich bestimmt schon angesteckt. Zum Beweis zeigten sie
stolz auf meine Piratenbinde. Ich beschränkte mich
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