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Setz dich über alles weg

Setz dich über alles weg

Titel: Setz dich über alles weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Bard
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nachbarlichen Gefühle hatten nicht mit einer
Nachbarin gerechnet, die über tellergroße dunkelblaue Augen mit halbzolllangen,
schwarzen Wimpern verfügt. Ich hatte mir mehr ein schlampiges Frauenzimmer
gedacht, das vom Haushalt noch weniger versteht als ich und auf meine guten
Ratschläge angewiesen ist.
    »Web, Liebling, hilf Mary die Drinks
mixen! Er mixt die herrlichsten Drinks. Wenn Web einmal arbeitslos wird, kann
er als Barmixer gehen, und er wird der wunderbarste Barmixer auf der Welt
sein.« Dann erklärte sie mit ihrer sanften, einschmeichelnden Stimme, daß unser
Haus entzückend sei und die Blumenpracht überwältigend, daß ich die schönsten
Kinder hätte, die sie je gesehen habe, und sie könne es nicht erwarten, meinen
Mann kennenzulernen. Sie wollte von ihm hören, welche Ärzte er ihr für dieses
und jenes empfehlen würde. Welch ein Glück, daß sie ein Haus mit so reizenden
Nachbarn gefunden hätten — und noch dazu neben einem Arzt!
    Web kam mit den Whisky-Soda herein,
trank sein Glas in einem Zug leer, murmelte: »Darf ich mir noch einen nehmen?«
und verschwand wieder in die Küche.
    Als Jim nach Hause kam, stellte ich ihn
den Trimbulls vor und sagte: »Die Herrschaften werden gut daran tun, ihn sich
genau anzusehen. Er ist Arzt, und es kann sein, daß Sie ihn jetzt lange nicht
mehr zu Gesicht bekommen. Er erinnert mich an eine Sonnenfinsternis — ich sehe
ihn so selten.« — Jim widersprach: »Um es genau zu sagen — ich bin fast immer
zu Hause.« Und lächelte Fee an.
    Ihr Akzent wurde gleich um dreißig
Grade gutturaler. »Hoffentlich kriege ich eine schöne Krankheit, die Sie
behandeln können.«
    Web sagte: »Soll ich Ihnen einen Drink
mixen, Doktor? Darf ich mir auch noch einen nehmen?« Und er und Jim gingen in
die Küche.
    Als sie zurückkehrten, trank Fee meinem
Mann zu: »Auf den ersten Arzt in meinem Leben, der nicht nur klug ist, sondern
auch gut aussieht!« Sie fuhr mit einem Akzent fort, der bereits wie eine fremde
Sprache klang: Ihre Mutter — sie heiße auch Mary — ist das nicht ein Zufall? —
sie finde, es sei so tapfer von ihnen, daß sie nach dem Westen übersiedelten,
wo es von lauter Yankees wimmle — ihre und Webs Familie hätten seit vier
Generationen in Louisiana gelebt, aber wir seien so freundlich — und man müsse
sich nur vorstellen, ein Arzt gleich nebenan! Sie würde jetzt gleich ihre
Mutter anrufen und ihr sagen, sie seien hier genauso gut aufgehoben wie drunten
im Süden...
    Web erhob sich auf unsicheren Beinen,
sagte: »Darf ich mir noch einen nehmen?« und wackelte in die Küche. Jim folgte
ihm.
    »Besonders gern hätte ich die Adresse
eines Kinderarztes, der kleine Web macht uns sehr viel Sorgen. Das ganze Jahr
über ist er erkältet — er welkt vor unseren Augen dahin. Unser Hausarzt war
wirklich sehr nett, aber von Medizin hat er nichts verstanden. Wie heißt Ihr
Kinderarzt?«
    Mein Kinderarzt heiße Dick Martin — der
wunderbarste und reizendste Mensch, den ich je getroffen hätte — er liebe
Kinder — habe selber sechs Stück — würde binnen zwei Wochen einen Athleten aus
Web machen! Das moralische Stoppsignal blinkte vor meinem inneren Auge.
»Niemals einen Arzt empfehlen — immer eine Liste von mindestens fünf Namen
nennen!» Ich schob den Einwand beiseite.
    Als Web und Jim zurückkehrten, erhob
sich Fee. »Trink dein Glas aus, mein Süßer, wir müssen gehen. Wenn wir zu spät
zum Essen kommen, wird Athlene ein finsteres Gesicht machen.«
    Jim sagte: »Wenn wir Ihnen irgendwie
behilflich sein können, brauchen Sie es nur zu sagen. Auf Wiedersehen!« Und
machte die Tür hinter sich zu.
    Sofort fiel ich über ihn her. »Könntest
du nicht etwas herzlicher sein? Es sind reizende Menschen, und sie fühlen sich
einsam unter lauter Yankees — «
    »Ich habe die Südstaatler satt, die so
daherreden, als wären sie unter den Kopfjägern von Borneo gelandet, kaum daß
sie die Mason-Dixon-Linie überschreiten! Außerdem hat sich der brave
»Darf-ich-mir-noch-einen-nehmen?‹ so einsam gefühlt, daß er mir meine letzte
Flasche Whisky ausgetrunken hat. Gibt es etwas zu essen? Ich muß zu einem
Bankett.«
    Der Verein der Vernachlässigten versammelte
sich in meinem Haus. Die Betten im oberen Stockwerk waren mit Babies belegt —
wir hatten eben geluncht und wollten nun die Organisation aufbauen. Wir
stellten die Nähmaschine in eine Ecke des Zimmers, um auf ihr die größeren
Risse und Schäden beheben zu können, verteilten die Flickarbeit je

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