Seuchenschiff
Gewerbe seine Pistole längst an den Nagel gehängt hätte. Die Notwendigkeit für eine solche Institution war so groß, dass ihm sein Gewissen nicht gestattete, sich aus diesem Geschäft zurückzuziehen.
Allein im vorangegangenen Jahr hatten er und die Mannschaft der
Oregon
einen Piratenring zerschlagen, der es auf Schiffe abgesehen hatte, die illegale chinesische Immigranten transportierten, um diese dann als Arbeitssklaven in einer geheimen Goldmine einzusetzen. Außerdem hatten sie die Pläne eines Ökoterroristen erfolgreich durchkreuzt, einen mit einem tödlichen Gift präparierten Hurrikan über die Vereinigten Staaten hinwegfegen zu lassen.
Es schien, dass sobald ein Job erledigt war, sich gleich zwei weitere ergaben, deren Ausführung der speziellen Fähigkeiten der Corporation bedurfte. Das Böse wütete überall auf dem Planeten, und die Weltmächte wurden durch die verdorbene Moral, die auch sie so groß hatte werden lassen, daran gehindert, es einzudämmen. Obgleich sich die Corporation stets an die Richtlinien von Cabrillos eigenem Moralkodex hielt, wurden er und seine Leute nicht durch Politiker welcher Couleur auch immer, die eher an ihrer Wiederwahl als an irgendwelchen politischen Ergebnissen interessiert waren, behindert.
Während Juan sich anzog, klopfte der Chefsteward an seiner Tür und trat ein.
»Frühstück, Captain«, sagte Maurice mit seinem unüberhörbaren englischen Akzent.
Der Steward war ein Veteran der Royal Navy, der auf Grund seines Alters den Dienst hatte quittieren müssen. Er war ein klapperdürrer Mann mit schneeweißen Haaren, der sich jedoch stets kerzengerade hielt und durch keine noch so heikle Situation aus der Ruhe bringen ließ. Während Cabrillo selbst schon mal Wert auf elegante Kleidung legte, gab es auf dem ganzen Schiff nichts, was einem Vergleich mit den dunklen Anzügen und gestärkten und makellos gebügelten Oberhemden, die Maurice bei jeder Witterung zu tragen pflegte, standhalten würde. In den Jahren, die er an Bord des Schiffes seiner Tätigkeit nachging, hatte noch nie jemand den Steward frieren oder schwitzen gesehen.
»Stellen Sie es auf meinen Schreibtisch«, rief Juan, während er aus dem Schlafzimmer kam, das an sein Büro grenzte. Der Raum war mit Möbeln aus dunklem Holz eingerichtet, besaß eine Kassettendecke aus Mahagoni und dazu passende Vitrinen für all die Kuriositäten, die er im Laufe der Jahre gesammelt hatte. Als wichtigstes Objekt hing an einer Wand ein aufwändig gerahmtes Gemälde von der
Oregon
bei ihrer Fahrt durch eine sturmumtoste See.
Maurice legte das Besteck auf den Schreibtisch und schüttelte stirnrunzelnd den Kopf. Es gab in der Kabine des Chefs einen absolut perfekten Esstisch in einer Nische. Er nahm die Deckel von den Schüsseln, und der appetitliche Duft eines Omeletts, von Lachs und starkem Kaffee breitete sich im Raum aus. Maurice wusste, dass Cabrillo immer ein wenig Sahne in seinen ersten Kaffee des Tages nahm, daher hielt er das Kännchen schon bereit, als sich Juan in seinen Sessel fallen ließ.
»Nun, wie steht es mit der jüngsten Internetromanze unseres Mr. Stone mit dem Mädchen aus Brasilien?«, fragte Juan und aß einen großen Happen von dem Ei.
Maurice war die Zentrale für jedweden Klatsch und Tratsch auf dem Schiff, und Eric Stones zahlreiche Cyberaffären waren sein Lieblingsthema.
»Mr. Stone kommt allmählich der Verdacht, dass die fragliche Lady und er sehr viel mehr gemeinsam haben, als er anfänglich anzunehmen gewagt hat«, sagte Maurice in einem verschwörerischen Flüsterton.
Juan öffnete den freistehenden antiken Safe hinter seinem Schreibtisch, während er zuhörte. »Das ist doch eigentlich gar nicht so übel.«
»Ich beziehe mich auf das Geschlecht, Captain. Er glaubt, dass die Lady in Wahrheit ein Mann sein könnte. Mr. Murphy hat mir Bilder gezeigt, die er – oder sie – geschickt hat und die, wie hat er es ausgedrückt?, sozusagen ›schwerpunktmäßig geschönt‹ worden sein sollen, um gewisse anatomische Details zu verbergen.«
Cabrillo kicherte verhalten. »Der arme Eric. Der Kerl kann ja noch nicht mal in einem Chatroom sein Glück finden.«
Er zog die mit dem Namen und dem Logo einer längst stillgelegten Eisenbahnlinie im Südwesten der USA verzierte Stahltür auf. Fast alle Handfeuerwaffen, die an Bord der
Oregon
mitgeführt wurden, lagerten in der Waffenkammer neben dem schallisolierten Schießstand. Juan aber zog es vor, seine eigenen Waffen in Reichweite in
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