Seuchenschiff
sein, kurz bevor Cooper mit seiner Ketsch auf See spurlos verschwunden war. Juan hatte den Bericht der Küstenwache gelesen, und es schien, als wäre das Boot in einem Sturm, der praktisch aus dem Nichts gekommen war, gekentert. Fünf andere kleine Segelboote waren von dem Unwetter überrascht worden, und drei weitere Personen waren ertrunken.
Wenn Juan den zum Propheten gewandelten Wissenschaftler mit einem Wort hätte beschreiben müssen, dann fiel ihm dazu nur ein Ausdruck ein –
nichts sagend.
Cooper hatte nichts Auffälliges an sich. Er war Mitte bis Ende sechzig, dickbäuchig, mit einem eiförmigen Schädel, Brille und schütterem Haar. Seine Augen waren braun, und der grau melierte Bart und Schnurrbart schmeichelten weder seinem Äußeren noch schadeten sie ihm. Es war, als ob man den Bart bei einem pensionierten Wissenschaftler erwartete – und als hätte er ihn nur deshalb wachsen lassen. Juan bemerkte nichts an ihm, das Tausende animieren würde, sich seinem Kreuzzug anzuschließen – kein Charisma, keinen Charme, nichts, was Verehrer als besonders anziehend hätten empfinden können. Hätte er nicht gewusst, wie Cooper aussah, so hätte er auch vermuten können, dass sich Martell ein Bild von seinem Oberbuchhalter an die Wand gehängt hatte.
»Ich hab’s!«, rief Murph und zog dann schuldbewusst den Kopf ein, weil er sich so laut geäußert hatte. »Entschuldige, aber ich bin im System. Ein Kinderspiel.«
Juan durchquerte den Raum. »Kannst du feststellen, in welchem Zimmer sich Kyle aufhält?«
»Sie haben alles mit Querverweisen versehen. Er befindet sich in Gebäude C. Es ist das neueste in nächster Nähe des Punktes, wo Eddie und Linc über die Mauer geklettert sind. Kyles Zimmer hat die Nummer eins-eins-sieben, aber er ist nicht allein. Er hat einen Mitbewohner namens – mal sehen – Jeff Ponsetto.«
»Gut gemacht«, lobte Cabrillo und gab die Information gleich an Eddie und Linc weiter. »Lade aus ihrem Computer runter, was immer du kriegen kannst.«
Linda Ross meldete sich über das taktische Netz. »Juan, wirf mal einen Blick auf deinen Schirm. Ihr bekommt Gesellschaft.«
Juan schaute auf seinen Armel. Zwei Männer in Arbeitsanzügen kamen über das Gelände. Sie trugen Werkzeugkästen und wollten offenbar zum Hauptgebäude, wo er und Murph sich gerade aufhielten. Hätte es irgendeinen Notruf für den Wartungsdienst gegeben, so hätten sie sicherlich Stimmen gehört. Was immer da im Gange war, Cabrillo gefiel es ganz und gar nicht.
»Murph, vergiss den Download. Lass uns verschwinden.«
Während Juan zur Tür ging, versteckte er eine Wanze unter der Schreibtischlampe. Er wusste, dass man sie schnell finden würde, sobald der Einbruch entdeckt wurde, aber immerhin konnte sie die ersten kritischen Momente dessen übertragen, was in Gil Martells Büro geschähe. Er blieb am Fenster stehen und blickte wieder auf sein Ärmeldisplay. Die Wartungsmänner näherten sich dem Haupteingang des Gebäudes, er und Mark hätten also genügend Zeit, um zu verschwinden.
Langsam zog er die Jalousie hoch und schlängelte sich über die Fensterbank. Die Glock lag in seiner Hand, obwohl ihm nicht bewusst war, sie aus dem Holster gezogen zu haben.
Im Kriechgang und ihrem sorgfältig geplanten Kurs folgend, um den Kameras zu entgehen, hielten sie auf Gebäude C zu. Das Gras unter ihren Schuhen war verdorrt und knisterte bei jedem Schritt. Wie die anderen Gebäude des Responsivisten-Lagers war auch Gebäude C einstöckig mit weiß getünchten Wänden und einem Mönch & Nonnen-Dach.
Linc und Eddie drückten sich an die Wand neben einer Tür und befanden sich damit im toten Winkel der Kamera, die über der Tür installiert war. Eine Sicherheitskonsole stand rechts von ihnen, ihre Schutzplatte war entfernt worden und hing an einem Bündel Drähte herab. Linc hatte bereits seine Überbrückung eingesetzt. Obwohl er ausgesprochen große Hände hatte, war der ehemalige Navy SEAL der beste Schlossknacker der Corporation, und er setzte seine Werkzeuge mit der Feinfühligkeit eines Gehirnchirurgen ein. Mit einem Dietrich und einem Torsionsstab vollführte er eine Linksdrehung mit dem Schloss, und die Tür sprang mit einem Klicken auf.
»Vierzehn Sekunden«, flüsterte Eddie.
»Der Meister hat wieder zugeschlagen«, meinte Linc grinsend und betrat den langen Korridor, der sich durch das gesamte Gebäude erstreckte.
Der Korridor war von Dutzenden identischer Türen gesäumt und wurde von matt leuchtenden
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