Seuchenschiff
Höhenangst kannte und völlig schwindelfrei war, kletterte auf das Brückengeländer und ließ sich von der Brücke hinunter. Eddie befand sich neben ihr, und Linc, mit Kyle auf dem Rücken, hing am dritten Seil. Sie stiegen an den Verstrebungen der Brücke abwärts, bis sie plötzlich siebzig Meter über dem Schiff baumelten und nur noch von den Seilen gehalten wurden.
Mit einem Freudenschrei schoss Linda wie ein entfesselter Fahrstuhl an ihrem Seil abwärts. Eddie und Linc folgten ihr im freien Fall, ehe sie ihr Abseilgeschirr einsetzten, um ihre Abwärtsfahrt abzubremsen. Sie landeten fast gleichzeitig und blieben stehen, damit ihre Kollegen auf dem Schiff sie von den Seilen abhängen konnten. Die freien Enden der Seile wurden sofort an gusseisernen Pollern auf dem Schiffsdeck befestigt.
Atemlos von dem Adrenalinschub sagte Linda: »Und jetzt kommt der lustige Teil.«
Eric Stone, der das Geschehen an Deck über das Schiffsfernsehen verfolgte, wartete nicht auf einen ausdrücklichen Befehl. Er schob den Gashebel sacht nach vorn, und das Schiff schob sich kanalaufwärts. Die Seile spannten sich und vibrierten kurz, ehe der Zug des Schiffes den gemieteten Van über das Brückengeländer hievte. Er stürzte ab wie ein Stein und krachte dicht hinter der
Oregon
ins Wasser. Der Aufprall drückte das Dach ein und sprengte sämtliche Fenster aus den Rahmen. Das Gewicht des Motors sorgte dafür, dass sich der Van wie eine Ente auf der Suche nach Nahrung auf den Kopf stellte. Er wiegte sich noch einen Moment im Kielwasser des Schiffes, ehe er sich mit Wasser füllte und versank. Sie würden das Wrack bis in die Ägäis schleppen, ehe sie die Seile kappten, so dass der Van auf den Meeresgrund sank.
Der Wagen war von einem Mannschaftsmitglied unter Vorlage gefälschter Ausweispapiere gemietet worden, so dass keinerlei Verbindung zur Corporation ermittelt werden konnte. Und so musste nur noch eine Person auf das Schiff zurückkehren, damit die Mission als Erfolg verbucht werden konnte – selbst wenn sie so tief in ihre Trickkiste greifen mussten, dass Plan C zur Anwendung käme.
Cabrillo war zum Kanal von Korinth unterwegs. Dörfer und kleine Bauerhöfe flogen an ihm vorbei. Im Mondlicht erschienen die vereinzelten Gruppen konisch geformter Zypressen wie Posten, die ihre Wälder bewachten.
Ganz gleich wie waghalsig er die Kurven nahm oder wie brutal er das Getriebe des Jeeps auch malträtierte, er konnte seine Verfolger nicht abschütteln. Nachdem ihnen klar war, dass sie das entführte Mitglied nicht würden zurückbringen können, wollten die Männer, die ihn jagten, nur noch sein Leben. Sie benutzten die gesamte Breite der Straße, schnitten die Kurven an und gerieten mehr als einmal auf den Geröllstreifen des Banketts. Sie hatten einige Male auf Cabrillo schießen können, aber bei dem Tempo, mit dem sie über die Straße rasten, bekamen sie keine Möglichkeit, genau zu zielen. Und so hatten sie das Feuer eingestellt, um Munition zu sparen.
Juan bedauerte, die Windschutzscheibe nicht hochgeklappt zu haben, während er die Augen gegen den Fahrtwind von hundertzwanzig Stundenkilometern zusammenkniff. Hinzu kam, dass Wind aufgekommen war und feinen Staub aufwirbelte, der in seinen Augen brannte. Er passierte die Ausgrabungsstätte von Isthmia. Im Gegensatz zu den anderen Ruinenstätten, die man überall in Griechenland antreffen konnte, gab es auf den niedrigen Hügeln nichts zu sehen, keine Tempel oder Säulen, sondern nur ein Hinweisschild und ein kleines Museum. Was er jedoch sehr genau registrierte, war ein Straßenschild, das angab, dass die Stadt Isthmia nur noch zwei Kilometer entfernt war. Wenn die
Oregon
nicht bald in Position ging, käme er in große Schwierigkeiten. Der Zeiger der Tankanzeige des Jeeps verharrte nur dank seines Willens über der LEER-Marke.
Er hörte über den Ohrhörer seinen Namen und musste die Lautstärke seines Funkgeräts nachregeln. »Hier ist Juan.«
»Juan, hier ist Gomez. Linda und die anderen sind sicher an Bord. Ich hab dich auf der Kamera der Drohne, und Eric führt soeben seine Berechnungen durch. Du kannst ja schon mal ein wenig abbremsen.«
»Siehst du den anderen Jeep hinter mir?«
»Ja«, meinte der Hubschrauberpilot. »Aber wenn wir das nicht richtig hinbekommen, endest du wie eine Fliege auf der falschen Seite der Klatsche, wenn du weißt, was ich meine.«
Juan konnte sich ein Grinsen nicht verbeißen. »Vielen Dank für diesen netten Vergleich.«
Die Straße
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