Sevenheart-2
Natürlich hatte er wieder Recht. Ich war als Tier stumm. Aber das störte mich nicht. Es war so vielleicht sogar besser. Ein Mensch sollte nicht in der Lage sein, als Tier unter den anderen Leben zu können. Sowieso hatte ich nicht ihren Tierinstinkt und auch nicht ihre Denkweise. Ich war nur Mensch in einem Tierkörper. Weiter nichts. Zu mehr war ich nicht bestimmt.
Verwirrte Gefühle
Seit dem Tag, an dem ich mich das erste Mal in einen Adler verwandelt hatte, übte ich jeden einzelnen Tag an meiner Gabe. Meistens übte ich mit Reece, manchmal mit Sunny, manchmal sogar mit Niall. Sunny war ungeduldig, des Öfteren brachte ich sie um den Verstand, wenn ich etwas nicht gleich hinbekam. Aber es war Sunny. Sie war mir nie böse und ich wusste, dass sie es auch nie böse meinte.
Niall war nie wirklich ernst bei der Sache und lachte mich dauernd aus. Trotzdem brachte er mir manches bei und es machte mir unendlich viel Spaß mit ihm zu üben, auch wenn meistens nicht sonderlich viel dabei rauskam. Reece war mein bester Lehrer. Aber das wusste ich schon von Anfang an. Er war ruhig, zuverlässig und wusste immer eine Antwort auf meine Fragen. Bei ihm lernte ich nicht nur meine Gabe zu beherrschen, sondern auch meine Antworten zu überdenken und immer eine möglichst neutrale und gute Antwort zu geben. Je öfter ich mit ihm zusammen war desto mehr versuchte er mir seine Denkweise beizubringen und den anderen immer einen Schritt voraus zu sein. So, wie er es immer war.
Ich befolgte Reece’ Rat, mich einmal an Shaimen zu wenden. Bisher wusste ich nicht viel über ihn, außer, dass er ein sehr ruhiger, angenehmer Mensch war und es seine Gabe war, mit Tieren zu reden. Natürlich war er auch derjenige, der mit dem magischen Wald sprach, der die Abkommen mit ihm geschlossen hatte. Durch ihn hatte Ciaran den verbotenen Wald unter Kontrolle. Shaimen spielte außerdem fast jedes Musikinstrument. Und ich war ein Mensch, mit dem er seine Leidenschaft für Musik teilen konnte. Er war so faszinierend von meinem Gesang und meinen Klavierkünsten, dass er versprach, mir alles Menschenmögliche an Tierstimmen beizubringen.
Er lernte mich die Imitation eines Waldkauzrufes, eines Wolfes, eines Rotkehlchens und viele andere Tierrufe. Er zeigte mir außerdem einige Pflanzen, von denen ich mich ernähren könnte, wenn ich jemals in eine solche Situation kommen würde. Essbare Pflanzen, giftige Pflanzen, magische Pflanzen oder heilende Pflanzen. All diese Arten musste ich unterscheiden können. Er war ein sehr konsequenter und ernster Lehrer, der nicht aufgab, bis ich jede einzelne Pflanze unterscheiden und erkennen konnte.
„Crawl-Pflanze?“
„Heilende Pflanze?“, riet ich.
In meinen Kopf passten keine Pflanzennamen mehr. Er schien vorm Zerplatzen zu sein.
Shaimen fing an zu lachen.
„Wenn du dich mit dieser Pflanze heilen willst, beförderst du dich direkt in den Tod“
„Giftige?“
Mein zweiter Versuch. Er verdrehte die Augen.
„Nein. Ich gebe dir noch eine Chance. Also?“
„Magische?“
Ich traute mich mit einem zugekniffen Augen zu Shaimen zu lunzten.
„Richtig. Giftig oder ungiftig?“
„Giftig“, riet ich wieder.
Er nickte.
„Woran erkennt man sie?“
„An den achtzackigen, dornigen Blättern“
„Was verursacht sie?“
Es machte Klack in meinem Kopf. Ich wusste die Antwort.
„Bei Berührung der Dornen entstehen fast faustgroße große Blasen, die sich in eine ätzende Flüssigkeit verwandeln, wenn sie aufplatzen. Was wiederum durch starken Juckreiz ausgelöst wird. Diese ätzende Flüssigkeit frisst sich durch die Haut und sogar durch den Knochen hindurch und hinterlässt eine klaffende, blutige Wunde“
Shaimen hob eine Augenbraue. Mein gerade aufgebautes Selbstbewusstsein wurde zunichte gemacht. Als er meine Reaktion sah, lachte er leise auf.
„Sehr gut! Das war vollkommen richtig. Du bist entlassen für heute“
Ich atmete erleichtert auf und schenkte ihm ein aufrichtiges Lächeln.
„Danke“
Ich verließ den Raum leise und ging durch den langen Gang.
In letzter Zeit war mein Terminkalender voll ausgebucht. Nach der Aufklärungsstunde mit Shaimen stand nun Waffenkunde und Schwertkampf mit Cormarck an der Reihe.
„Hey Cormarck“, sagte ich, als ich sein riesiges, schwach beleuchtetes Zimmer betrat und mich auf seinem Bett niederließ.
„He, Gebbie“
Wieder einmal schnitzte Cormarck an etwas herum. Diesmal war es ein neuer Bogen. Ich tippte auf schwarzes Edelholz.
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