Sex and Crime auf Königsthronen
geschädigtes Chromosom, das die Bluterkrankheit zu verantworten hat. Doch davon konnten weder Victoria noch Prinzgemahl Albert etwas wissen.
Das von Albert angedachte Marketingkonzept à la Queen Victoria aber erwies sich bis weit ins 20. Jahrhundert hinein als heilsames Therapeutikum für verschiedene Thronerben. Bürgerlichkeit und Familienleben werden im 20. Jahrhundert zum internationalen politischen Palastprogramm – mit unerfreulichen Folgen für so manche Kronprinzen. Schon Victorias Sohn und Thronerbe findet wenig Gefallen an der moralischen Messlatte. Und noch weniger am neuen Produkt Klatschpresse, die sich rasch nicht mehr damit begnügt, alles einfach märchenhaft zu finden, was Schlösser und Paläste offiziell von sich geben und zeigen.
Victorias unbezähmbare Erben
Victorias erstgeborener Sohn Edward, der nach dem wilden Dandy Prinny erstmals wieder die berüchtigte Prinzenrolle von Wales besetzen darf, bleibt schon in jungen Jahren, hinter den Kulissen von Mamas staatstragendem Trauerspiel, den Freizeitvergnügungen seiner lockeren Vorgänger treu. Er führt ein Leben als Lüstling und Prasser. Vergebens droht seine Mutter Victoria dem Ältesten mit dem Schreckgespenst der französischen Revolution.
Der künftige König Edward VII. interessiert sich – ähnlich wie die Mama – wenig für die Regierungsgeschäfte, dafür umso mehr für Glücksspiel, Pferderennen, tagelange Jagdgesellschaften, Bordellbesuche und für seine Kollektion von Mätressen diesseits und jenseits des Kanals.
Zu seinen letzten Eroberungen – da ist er bereits in Amt und Würden – zählt Alice Keppel (1869–1947). Sie ist eine Urgroßmutter von Camilla, der früheren Dauergeliebten des derzeitigen Prinz von Wales und inzwischen als Herzogin von Cornwall seine Gattin und Königin in spe.
Edwards Kennerblick fällt 1898 auf die damals 29-jährige, bildschöne Alice Keppel. Die Admiralstochter rauchte Kette wie heute Camilla und hatte eine ähnlich tiefe Stimme. Dass sie bereits verheiratet und Mutter ist, tut Edwards königlicher Zuneigung keinen Abbruch, und wie später Andrew Parker Bowles – Gardeoffizier und Exmann von Camilla – erträgt auch Alice Keppels Gatte den Ehebruch im Königsbett mit der Haltung und der Diskretion eines Offiziers und Gentleman. Edward zeichnet den Gehörnten im Gegenzug 1908 mit dem Victoria-Orden aus. Im Sinne seiner 1901 verblichenen Mama ist das sicher nicht gewesen, aber immerhin bleibt er damit dem Konzept von möglichst viel Pomp and Circumstance für Presse und Publikum treu. Davon profitiert Königin Elisabeth II. samt Familie noch heute.
Als immer wieder wirkungsvoll erweist sich die Verbindung von königlicher Zeremonie und nationalem Familienfest beim Thema Hochzeit. Nie kommen museumsreife Kutschen und Gardesoldaten besser zur Geltung.
Auch wenn sich die Bewohner von Buckingham Palace neuerdings darauf konzentrieren, als working monarchy – also als Arbeitsmonarchie – zu punkten, bleibt ihr Privatleben besonders populär. Aber das ist keinesfalls neu oder ein hässlicher Auswuchs des Medienzeitalters. Die Schaulust des Volkes und die Zeigefreudigkeit von Königen sind untrennbar miteinander verbunden und gehörten über Jahrhunderte hinweg zu den wichtigsten Instrumenten des Machterhalts.
Für Historiker, Kenner oder Angehörige der Adelsklasse war die Nachricht, dass zwischen Diana und Charles die Fetzen flogen und auch der andere Nachwuchs der Queen hauptsächlich unglücklich verheiratet war, deshalb keine Sensation. Königssippen waren jahrhundertelang exakt das Gegenteil von dem, was wir heute als heile Familien bezeichnen würden.
Auf zu viel Erotik an der Macht müssen Europas Monarchen heutzutage verzichten, doch Hochzeiten bei Hof bleiben ein Megaevent, und TV -Sender aller Länder machen mit blauem Blut gern Quote.
Bester Beweis war die Heirat von Schwedens Kronprinzessin Victoria im Jahr 2010. Obwohl sich in Umfragen Schwedens Bürger vor dem Spektakel darüber ärgerten, dass sie die Rechnungen für die recht extravaganten Feierlichkeiten der Heirat einer Königstochter mit einem ehemaligen Fitnesstrainer namens Daniel Westling mitbegleichen sollten, war am Ende denn doch die überwältigende Mehrheit dafür und begeistert.
Riddarhuset , die Standesvertretung des schwedischen Adels, meldete zwar Bedenken gegen die Nobilitierung Daniel Westlings an, setzte sich aber nicht durch. Schließlich war schon die Mutter der Kronprinzessin, Königin Silvia,
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