Sex and Crime auf Königsthronen
große Victoria fügt sich gern in ihre Doppelrolle als alles beherrschende »Mutter der Nation« nach außen und als überaus anhängliche Ehefrau nach innen. Das Gespann Albert/Victoria ist in der Tat ein zeittypisches Ehegespann und Victoria alles andere als eine Freundin von Frauenrechten. Von denen hält sie überhaupt nichts:
»Die verrückte, sündhafte Narretei der Frauenrechte mit all ihren abscheulichen Begleitumständen muss mit aller Kraft eingedämmt werden … Frauen werden zu den hassenswertesten, herzlosesten und abstoßendsten Geschöpfen, wenn man ihnen erlaubt, ihr Geschlecht zu verleugnen.«
Ihre Matriarchenrolle empfindet die Königin als eher »anomal«, und sie ist froh, dass parlamentarische Politmänner – weibliche gibt es nicht – ihre Regierungsgeschäfte und der Prinzgemahl die Öffentlichkeitsarbeit übernehmen. Victoria wäre am liebsten wirklich nur eins, ein Heimchen am Herd. Allerdings ohne Haushaltspflichten, ohne die Mühen der Kindererziehung, ohne Finanzsorgen und mit jedem Recht der Welt auf Amüsement und gehobene Freizeitkultur.
Das Schöne ist: Sie darf solch ein Heimchen recht häufig sein. Weil ihre Haushaltskasse stets gut gefüllt und das Bild der glücklichen Königsfamilie politisch enorm erfolgreich ist.
Bürgerliche Gattinnen ereilt hingegen dank des mächtigen Vorbildes das Schicksal, vor der Kulisse als repräsentatives Stilmöbel eine gute Figur zu machen und dahinter jede Menge Haus- und Familienarbeiten erledigen zu müssen.
Doch was anno 1900 zumindest im Palast politisch glatt und privat überwiegend glücklich funktioniert, findet 1861 ein jähes Ende. Victorias Prinzgemahl, den sie wie erwähnt als »Gatten, Geliebten, Freund, Papa, Berater, ja sogar Mutter« liebt, stirbt nach 21-jähriger Ehe an Typhus.
Was privat eine Tragödie ist, lässt die Monarchie in eine erneute Krise abgleiten. Bis dahin hat sich Vicky privat und politisch vor allem auf ihn gestützt, jetzt droht ein völliger Zusammenbruch der stark depressiv veranlagten Queen.
Nach dem Tod ihres Gemahls erwägt Victoria gar kurzfristig, sich ganz aus dem Amt und von der Welt zurückzuziehen. Ein Politdebakel, das das Parlament um jeden Preis verhindern will. Die Monarchin bildet eine unverzichtbare Klammer zwischen dem Mutterland und den weit verstreuten Kronkolonien. Im Namen Victorias werden immerhin ein Fünftel der Erde und ein Drittel der Weltbevölkerung beherrscht.
Doch zunächst einmal legt die 42-jährige Victoria Trauer an und bis an ihr Lebensende – vierzig Jahre später – nie mehr ab. Ein Jahr zieht sie sich völlig aus London auf das schottische Schloss Balmoral zurück, ein weiteres Schloss, das Albert für sie restauriert hat. Danach verbringt Victoria unter weitgehendem Ausschluss der Öffentlichkeit Jahre im Familienrefugium Osborne House auf der Isle of White.
Ihr Kummer nimmt kuriose Züge an. Die Witwe geht mit einer marmornen Nachbildung von Alberts Hand und mit Blick auf ein Gemälde des aufgebahrten Verblichenen zu Bett. In den Palastschlafzimmern des Verblichenen lässt sie allabendlich die Handtücher wechseln, ein Nachthemd für ihn auslegen und warmes Wasser bereitstellen.
Hofbedienstete halten ihre Gebieterin für – nun ja – exzentrisch bis gaga. Alarmberichte werden ins House of Parliament übermittelt, aber nichts kann die depressive Victoria zunächst dazu bewegen, das Zepter wieder in die Hand zu nehmen.
Die Queen lässt sich zu höchstens ein, zwei Auftritten jährlich überreden, will aber mit den Regierungsgeschäften weiterhin nicht behelligt werden.
Es besteht dringender Handlungsbedarf, befinden das Parlament und die inzwischen teils wieder enorm königstreue Presse.
Der Ökonom, Verfassungstheoretiker und Zeitungsherausgeber Walter Bagehot mahnt 1865: »Aus unschwer zu benennenden Gründen hat die Königin durch ihren langen Rückzug aus dem öffentlichen Leben der Popularität der Monarchie fast ebenso großen Schaden zugefügt, wie der unwürdigste ihrer Vorgänger es durch seine Lasterhaftigkeit und Leichtfertigkeit getan hat.«
Andere gehen wieder einmal strenger mit Victoria und damit mit der Monarchie ins Gericht. 1864 heftet ein kecker Witzbold am Gitterzaun des von der Queen gemiedenen Buckingham Palace eine Immobilienanzeige an: »Infolge des Geschäftsrückgangs des vormaligen Bewohners ist dieses prachtvolle Anwesen zu vermieten.«
Nur ein Beispiel scharfer Kritik, die sich auch wieder einmal auf Klatsch stützt.
1865
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