Sex und die Zitadelle: Liebesleben in der sich wandelnden arabischen Welt (German Edition)
Plastikhand zu ersetzen, oder ihm beizubringen, dass es egal ist, was die Menschen denken? Es geht nicht darum, eine Person, die sich einer belastenden Situation ausgesetzt sieht, zu verändern, sondern darum, ihr zu helfen, mit dieser Situation umzugehen.«
Auch in Ägypten gibt es Psychiater, die die affirmative Therapie praktizieren. Anders als Wasfy neigen sie dazu, sich bedeckt zu halten, weil ihr Ansatz in eklatantem Widerspruch zu den herrschenden gesellschaftlichen Überzeugungen steht. »Ich werde von meinen Kollegen dafür verurteilt«, sagt Nabil Elkot, der mit homosexuellen Klienten in Kairo arbeitet. »›Sie [homosexuelle Männer] sind es nicht wert, dass du dich mit ihnen beschäftigst. Wie kannst du dich dafür einsetzen?‹ oder ›Sie sind Homosexuelle, glaub ihnen nicht, sie wollen dich nur ausnutzen‹«, so beschreibt er die unter Medizinern verbreiteten Einstellungen. Elkot ist per Zufall zur affirmativen Psychotherapie gekommen, als er Ende der 1990er Jahre in seiner Privatpraxis mit Drogenabhängigen zu arbeiten begann. Ein hoher Prozentsatz dieser Klienten waren Homosexuelle, was ihn dazu veranlasste, sich näher mit diesem Thema zu befassen. Heute hat er eine Handvoll Patienten in Therapie, und die größte Herausforderung besteht für ihn darin, ihnen klarzumachen, dass sie sich tatsächlich zu Männern hingezogen fühlen. »Die meisten von ihnen sagen, sie täten dies, weil sie kein Glück bei Frauen hätten oder weil sie mit Freunden zusammen wären und nicht nein sagen könnten. Sie können nicht glauben, dass sie Männer begehren; der erste Schritt besteht darin, ihnen klarzumachen, dass sie dieses Begehren haben.« Solange sie dies nicht akzeptierten, meint Elkot, könnten seine Klienten ihre Probleme kaum überwinden, und sie litten weiterhin unter Ängsten, Selbsthass und starker Furcht, vor allem vor einem Riesenskandal, sollten Freunde oder Verwandte Kenntnis davon erlangen.
Viele Klienten suchen Elkot auf, nachdem sie vergeblich versucht haben, sich durch religiöse Heilung selbst zu kurieren. Sein Ansatz ist ein anderer; er fußt auf monatelanger Psychotherapie, begleitet von Medikamenten, die den Patienten helfen, ihre Angst, Depression oder Paranoia in den Griff zu bekommen. Ziel ist es nicht, einem Patienten zu sagen, dass er homosexuell ist, sondern »gemeinsam zu diesem Schluss zu gelangen«. Diese Erkenntnis und ihre Folgen – dass die Patienten anders sind und lernen müssen, als Angehörige einer Minderheit zu leben – erleben manche als Erleichterung, während andere tief erschüttert sind, so dass sie im Lauf weiterer Therapiesitzungen lernen müssen, diese Situation anzunehmen. In Anlehnung an seine Arbeit mit Drogenabhängigen sagt Elkot: »Das [homosexuelle] Begehren lässt sich nur schwer beherrschen, von daher besteht die Lösung darin, den Schaden zu begrenzen« – was bedeutet, die Risiken zu reduzieren, die damit verbunden sind, Homosexualität totzuschweigen, wie etwa unglückliche Ehefrauen, die als Deckmantel für die Homosexualität ihrer Ehemänner herhalten müssen, oder flüchtiger, impulsiver und im Allgemeinen unsicherer Sex, wann immer und wo immer man ihn bekommen kann. Elkot legt seinen Klienten eindringlich nahe, ihr Verlangen zu akzeptieren und es in geordnete Bahnen zu lenken: »Ich sage ihm, wenn du den Drang verspürst, dann mach es safe, in deiner Wohnung und mit jemandem, den du schon lange kennst, nicht auf der Straße … Schließlich versuche ich, sie dazu zu bewegen, sich in stabilere Beziehungen zu begeben.«
Aber das ist nicht leicht in einer Gesellschaft, die nur einen normativen Rahmen für sexuelle Aktivitäten anerkennt: Mann, Frau, Ehe, Kinder. Wie wir gesehen haben, stehen unverheiratete Ägypter fortwährend unter dem Druck zu heiraten – und dies erst recht, wenn sich die jeweilige Familie dies leisten kann. Die Tatsache, dass das Heiratsalter in den letzten Jahren angestiegen ist, vor allem bei Männern, hat Männern und Frauen, die ihrem eigenen Geschlecht zuneigen, kaum Luft verschafft – es bedeutet nur noch mehr Jahre elterlicher Nörgelei. Meine Großmutter, die wie immer ein Sprichwort parat hatte, das die herrschende Meinung über dieses Thema auf den Punkt brachte, schrieb jeden ab, der nicht den gesellschaftlichen Anforderungen entsprach: »Wenn der ‘ il q [Homo] etwas taugte, hätte er Kinder gezeugt.«
Nasim, der jetzt Mitte vierzig ist, hat Jahrzehnte unter diesem Druck gelebt. »Der Druck zu heiraten ist
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