Sex und die Zitadelle: Liebesleben in der sich wandelnden arabischen Welt (German Edition)
fest davon überzeugt, dass eine breiter angelegte Strategie zielführender ist. »Meines Erachtens wäre es für LGBT-Personen in unserer Region das Beste, wenn sie aufhören würden, in LGBT-Kategorien zu denken. Ich glaube, dass es einfach zu sehr einengt. Ich glaube, es wäre besser, wenn sich die Leute mit den grundlegenden Ursachen der Probleme, mit denen wir konfrontiert sind, befassen und sich die Zusammenhänge zwischen diesen Problemen und den allgemeinen gesellschaftlichen Problemen anschauen würden. Denn andernfalls ergibt sich über kurz oder lang eine Situation, in der jeglicher Fortschritt ein Fortschritt für einige wenige Privilegierte sein wird.«
Sie fuhr in diesem Tenor fort: »Was kann zum Beispiel ein Diskurs über LGBT-Rechte schon in einer Kultur erreichen, in der die Familie einen so überragenden Stellenwert hat? Ohne eine Kampagne für das Recht der Frau auf körperliche Selbstbestimmung und Unversehrtheit könnte ein solcher Diskurs nur wenig bewirken. Aber LGBT-Organisationen haben diese Fragen stets völlig ausgeklammert, weil sie in der Regel von schwulen Männern geleitet werden. Ich halte das ganz allgemein nicht für ein geeignetes Modell für die Region. Niemand wird Homosexualität entkriminalisieren, solange Frauen weiterhin wegen Ehebruchs bestraft werden. Es ist absurd; es wird nichts passieren. Es wird sich nichts bewegen, solange nicht die Frage des sexuellen Selbstbestimmungsrechts insgesamt angegangen wird.«
Shahira hieb in die gleiche Kerbe. »Als Ausgangspunkt zur Mobilisierung von Gemeinschaften müssen wir etwas anderes finden als das Schlagwort ›Wir sind alle homosexuell‹, und das ist einer meiner Kritikpunkte an der Identitätspolitik. Wenn man sich die Realitäten in der Region ansieht, weiß man, dass LGBT-Personen nicht so sichtbar sind, wie wir es glauben. Aber alle Menschen in der Region leiden unter der gleichen repressiven Moral, ob sie nun vom Staat, von der Religion oder von der Gesellschaft ausgeht. Weshalb sollte ich mich darum bemühen, eine Untergruppe, eine sehr kleine Teilmenge, zu befreien, wenn ich mich für die wirkliche Arbeit engagieren kann, die erledigt werden muss – was eine sehr langfristige Strategie ist?«, fragte sie mich mit stiller Entschlossenheit. »Als ich jünger war, habe ich mich nicht mit L oder B oder G oder T identifiziert … Ich war einfach jemand, der unterdrückt wurde, weil ich eine Frau war. Mir wurde Unrecht angetan, nicht weil ich queer bin, sondern weil ich eine Frau bin – eine arabische Frau, eine unverheiratete Frau.« Für Shahira ist das übergeordnete Ziel sozialer Gerechtigkeit letzten Endes gleichbedeutend mit dem, was sie für sich persönlich erstrebt. »Ich will eine Wohnung mieten können, ohne Hure genannt zu werden. Ich will mich frei auf der Straße bewegen können, ohne dass mich jemand angrapscht. Es spielt keine Rolle, was ich in meinem Bett tue – weil ich die Tür zumachen kann.«
In vielerlei Hinsicht ist der Libanon ein Sonderfall in der arabischen Region. Ich fragte Moumneh, was andere aus der Erfahrung von Meem und Helem lernen könnten, wenn es darum gehe, sich Freiraum für sexuelle Diversität zu erkämpfen. Ohne zu zögern gab sie mir ihren Rat. »Ich glaube, der Schlüssel ist hier die Vereinigungsfreiheit. In Ländern mit einem eher lockeren Vereinsgesetz haben Menschen mehr Freiraum, sich zu beliebigen Zwecken zusammenzuschließen, und darunter fallen auch Fragen der Sexualität oder der LGBT-Rechte. Aus diesem Grund gehörte der Libanon zu den Vorreitern, weil er ungeachtet all seiner Mängel über die Institutionen eines demokratischen Staates verfügt. Daher haben wir viele politische Parteien, eine aktive Zivilgesellschaft und ein sehr, sehr liberales Vereinsgesetz, das bei der Gründung eines Vereins nicht die Zustimmung der Behörden verlangt – die Behörden müssen lediglich informiert werden. Ohne diese Faktoren gäbe es heute im Libanon nicht diese vielfältigen Aktivitäten im Bereich Sexualität und sexuelle Rechte. Und das ist meines Erachtens auch in anderen Ländern der Punkt, auf den es ankommt.« Sie rät Nasim, Munir und deren Mitstreitern, es langsam anzugehen. »Jetzt ist in Ägypten nicht der geeignete Zeitpunkt, um zu sagen: ›Ich will eine LGBT-Organisation gründen.‹ Zuerst müssen die Fundamente gelegt werden. Wir sprechen über eine Gesellschaft, die sich in einem tiefgreifenden Übergangsprozess befinden, und zunächst müssen die Grundsteine für
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