Sex und die Zitadelle: Liebesleben in der sich wandelnden arabischen Welt (German Edition)
eine offenere und demokratischere Gesellschaft gelegt werden.«
So wie sich die Aufstände und deren Folgen von Land zu Land unterscheiden, so weichen auch die Strategien der LGBT-Gruppen in der Region voneinander ab – einige setzen sich für eine sofortige Rechtsreform ein, um einen günstigen Moment des Wandels zu ergreifen, während andere eine langsamere Gangart bevorzugen. Diese strategischen Planungen finden dagegen nicht isoliert voneinander statt; im Vergleich zur Zersplitterung und Konkurrenz unter zivilgesellschaftlichen Gruppen, die ich in anderen Bereichen gesehen habe – etwa Frauenrechtsorganisationen alter Schule –, sind die LGBT-Aktivisten der Region sowohl on- als auch offline bemerkenswert gut organisiert und vernetzt. Ein steter Strom von Workshops und Konferenzen über HIV in der gesamten arabischen Region (wie jene, die weiter vorn beschrieben wurde) führt sie regelmäßig zusammen, und bei diesen Gelegenheiten können sie Informationen austauschen und Strategien vergleichen. Insbesondere die Türkei hat sich als ein nützlicher Inkubator für angehende Sexualrechtsaktivisten aus dem arabischen Raum erwiesen; die dortigen Workshops und Netzwerke helfen ihnen, ihre Fähigkeiten weiterzuentwickeln, und bieten ihnen die Möglichkeit, von dem spezifisch türkischen Modell des gesellschaftlichen und sexuellen Wandels in einem islamischen Kontext zu lernen. 68 Die bekanntesten Aktivisten in der Region sind durch Einladungen zu internationalen Treffen über Sexualität oft auf Monate ausgebucht; und die steigende Zahl von Konferenzen über den »Arabischen Frühling«, bei denen der Status homosexueller Männer und Frauen innerhalb der neuen Ordnung zunehmend thematisiert wird, bedeutet, dass sich die Flugmeilen summieren.
Diese Männer und Frauen, die größtenteils unter vierzig sind, sind eindrucksvolle Persönlichkeiten – gebildet, nachdenklich und redegewandt. Sie halten nichts von Hierarchien, und in ihren Netzwerken und Organisationen zählt erfrischenderweise allein die Leistung. Mag ihre Zahl auch gering sein – eine Minderheit innerhalb einer Minderheit –, ihre Ambitionen sind es keineswegs. Sie wissen genau, wie sich die Welt dreht, und können einem mit umwerfender Genauigkeit sagen, was ihres Erachtens im Ausland funktioniert hat und was in ihren Heimatländern »geht«. »Der Globale Süden kennt zahlreiche Beispiele, von denen wir lernen können, seien es Afrika und die religiösen Fundamentalisten, seien es Lateinamerika und die dortige Trans[Transsexuellen]-Bewegung oder seien es Indien und die Entkriminalisierung der Sodomie. Der Globale Süden ist extrem reich an – erfolgreichen und erfolglosen – Beispielen«, sagte Shahira, während sie mir einen umfassenden Überblick über internationale Entwicklungen auf dem Gebiet der sexuellen Rechte gab. »Zu behaupten, der Westen habe perfekte Lösungen, ist extrem imperialistisch und extrem herablassend, und es ist lediglich eine neue Form der Kolonisierung und als solche problematisch.« Sie fuhr fort: »Wenn wir Hilfe wollen, können wir darum bitten – wir haben Stimmen, wir haben Computer, wir haben Verstand, und wir wissen, wie man Fragen stellt. Wenn es keine einheimischen Lösungen sind, werden sie nicht funktionieren. Wenn wir Hilfe brauchen, wissen wir, wo und wie wir darum bitten können. Genügend von uns haben studiert, sich in die Materie eingearbeitet und sind schon seit langem auf diesem Gebiet aktiv.«
Eine der interessantesten Gelegenheiten für LGBT-Aktivisten in der Region – und ein Gradmesser für ihre Fortschritte in den letzten Jahren – ist das Mantiqitna Qamb (»Camp Unserer Region«). 69 Seit 2010 treffen sich LGBT-Personen aus der gesamten Region einmal jährlich an einem »geheimen« Ort zu Workshops über Sexualität, Gender und Aktivismus sowie zur Schulung in Lebenskompetenzen und Beratung in persönlichen Fragen. Shahira, die regelmäßig an diesen Treffen teilnimmt, sagte, bei Mantiqitna gehe es vor allem darum, »nicht nur durch unsere schwul-lesbische, sondern auch durch unsere arabische Identität« eine enge Verbundenheit zueinander aufzubauen.
Und das zeitigt bereits Erfolge. Hassan, ein LGBT-Aktivist aus Tunesien, war von Anfang an dabei. »Es ist eine Initiative, die mir viel bedeutet. Ich habe Erfahrungen gesammelt und gelernt, wie man ein kleines regionales Netzwerk [namens Khomsa] aufbaut und koordiniert. Am letzten Tag des Camps von 2010 trafen sich die LGBT-Aktivistengruppen
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